Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
09.09.1914
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
9.9.1914

Früh erzählt mir Schneider, der Inspektion hatte, die 2. Armee habe wieder einen Angriff befohlen, ohne das Einvernehmen mit dem Flügelkorps der 3. (Nachbararmee) zu pflegen. Erst Sepp musste das besorgen. Sonst meint Sepp es sei gut gegangen. Ich erwähne dies beim Frühstück weil Oberst und Christophori mit sehr besorgten Mienen dasitzen; Oberst meint, es sei keineswegs gut gegangen, da die 4. und 2. nicht vorwärts kamen. – Während des ganzen Tages ist die Stimmung ziemlich unsicher. Der Vorstoß stärkerer russischer Kräfte in der Lücke zwischen unserer Hauptkraft und der 1. Armee macht die Lage im ganzen sehr schwierig; die 1. Armee muss bereits bis an den Höhenrand zurück. Abends liegen mir 2 Depeschen Berchtolds vor; die erste von gestern dem 8.9., die zweite vom 9.9. 1 Uhr vm., letztere durch ein anscheinend sehr scharfes und energisches Telegramm Conrads veranlasst. Beide fordern nachdrücklichst die ausgebliebene deutsche Offensive auf Siedlce und die ausgebliebene Mithilfe. In der ersten wird auf unberechenbare Folgen auf dem Balkan (Neutralität der Türkei und Bulgarien, Anschluss Rumäniens an die Entente u.s.w.) hingewiesen. – Papier! Als ob die Deutschen anders könnten! Sie müssen doch zuerst in Frankreich Ordnung machen und den Feind in Ostpreußen schlagen. Heute mittags deutete mir Freytag-Loringhoven an, dass auch in Frankreich schwere Arbeit zu verrichten sei. – Nun zeigen sich eben die Folgen davon, dass es von Anfang an an reinlicher Aussprache gefehlt habe. – Beim Nachtmahl sitze ich neben Hauptmann Hasse und sprach mit ihm eingehend über die Lage; nicht ohne die Notwendigkeit zu betonen, dass das Bundesverhältnis in seiner Reinheit erhalten bleibe und die militärischen Informationen an Aufrichtigkeit gewinnen. (Dies besonders wegen unserer Forderungen einer Offensive auf Siedlce). – Über seinen gestrigen Ausflug an die Front erzählt Hasse, er habe überall sehr dünne Gefechtslinien gefunden. Weiters sprach er ernste Besorgnisse über die Armee Dankl aus, deren Rückzug er ernstlich bedroht glaube. – Abends wird verlautbart, dass das Oberkommando morgen „aufs Gefechtsfeld“ abgeht; ich mit Kless als Berichterstatter zur 2. Armee. – Sehr vorsichtig ist es nicht, den Erzherzog und Chef so zu exponieren; immerhin aber ein erfreuliches, hoffentlich nicht trügendes Zeichen, dass die Lage sehr zuversichtlich zu beurteilen ist. –

            Wieder Nachtinspektion und morgen Abfahrt 8 Uhr vorm. Nun dieses Notizbuch werde ich doch nicht mitnehmen; lieber ein neues, denn: was gewisses weiß man nicht. –

            In der Nacht kommen 2 wichtige Meldungen:

1)    Die erste Armee wird hart bedrängt, da 5. Korps und deutsches Landwehrkorps eingedrückt; sie muss zurück, führt diese Bewegung nachts durch und fragt sich an, ob sie hinter den San zurückgehen soll. (Man könnte diese Frage auch formulieren: Ist der Sieg von Lemberg schon errungen ?)

<s>Potiorek meldet</s> Im Süden konnte sich die 5. Armee auf dem östlichen Drinaufer nicht dauernd festsetzen; der Angriff der 6. dagegen auf die Höhen schreitet gut vorwärts.

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