Einleitung

Die multinationale Armee des Habsburgerreiches war, trotz überraschend friktionsfrei vollzogener Mobilisierung, bereits sehr früh mit national motivierten Desintegrationsprozessen konfrontiert. Die Gefangennahme und Hinrichtung des in den Reihen der italienischen Armee kämpfenden sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten Cesare Battisti lieferte dafür ein besonders Aufsehen erregendes Beispiel. Von dramatischer und in Teilen kriegsentscheidender Wirkungsmächtigkeit wurden die nationalen und sozialen Unruhen allerdings erst, als sie im Laufe des Jahres 1917 Massencharakter annahmen.

Friedrich Adler, der Sohn des sozialdemokratischen Parteigründers, hatte sich im Oktober 1916 zur individuellen, terroristischen Tat entschlossen und den Ministerpräsidenten Graf Stürgkh erschossen, um ein Fanal zu setzen gegen die Massentötungen im Felde, gegen den habsburgischen Kriegsabsolutismus und nicht zuletzt auch gegen die Burgfriedens- und Stillhaltepolitik seiner eigenen Partei. Die Massen, so das Kalkül des Attentäters, sollten damit aus ihrer Lethargie, aus ihrem apathischen Ertragen des allgegenwärtigen Kriegsleids gerissen und zur bewussten politischen Tat geführt werden.

Tatsächlich hatten bereits im September 1916, vor dem Hintergrund einer sich dramatisch verschlechternden Ernährungslage, trotz des herrschenden Kriegsrechts erste Protestbewegungen in den Betrieben der Rüstungsindustrie eingesetzt, die sich unter dem Eindruck des Hungerwinters 1916/17 zu Manifestationen eines umfassenden und tiefgehenden Unmuts in breiten Massen der Fabrikarbeiterschaft ausdehnten. Frauen, Jugendliche, in einzelnen Fällen kriegsgefangene Zwangsarbeiter standen an der Spitze der Bewegung, neue, aktionistische, spontane Formen des sozialen Protests kamen zunehmend zum Tragen. Sabotageakte, passive Resistenz, von empörten Frauen getragene Lebensmittelrevolten und Hungerkrawalle verbanden sich mit politischen Massenaktionen, so in einer unmittelbar vor dem Prozess Adler einsetzenden Ausstandsbewegung in den Wiener Munitionsbetrieben oder eine Welle wilder Streiks im Juli 1917. Neben den Forderungen nach einer hinreichenden und funktionierenden Lebensmittelversorgung und dem sofortigen Friedensschluss unter Verzicht auf jegliche Annexionsansprüche stand jene nach der sofortigen Freilassung Friedrich Adlers.  

All diese Formen des Aufruhrs und sozialen Protests verdichtete sich im Jännerausstand 1918,  der größten und politisch brisantesten Streikbewegung, die dieses Land bis dahin gesehen hatte und die an ihrem Höhepunkt mehr als 350.000  Menschen umfasste. Der Jännerstreik, sein Verlauf und seine Ziele schlugen auf die Armee durch, wo sich die Meutereien und Befehlsverweigerungen in beunruhigender Weise zu häufen begannen (exemplarisch werden hier die Meutereien in Kragujevac, Lublin und Cattaro angeführt). Führend waren dabei nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk zurückgekehrte Kriegsgefangene, die häufig unter dem Einfluss der bolschewistischen Antikriegspropaganda standen. Das Ende der österreichisch-ungarischen Kriegsanstrengungen hatte sich deutlich abzuzeichnen begonnen.

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