Venetien

Am 11. Juni 1918, wenige Tage bevor sich das Scheitern der letzten Offensive Österreich-Ungarns und damit seine endgültige Niederlage auf diesem Schauplatz am Piave abzeichnen sollte, berichtete das Heeresgruppenkommando Boroević:

"Die öffentliche Sicherheit im besetzten Italien gibt zu Klagen keinen Anlass. In sachlicher Beziehung leidet die Sicherheit allerdings unter der Notlage der Bevölkerung. Im Allgemeinen kann die Bevölkerung als rechtlich und ehrliebend bezeichnet werden. Die Stimmung in der Bevölkerung, die früher zuversichtlich und entgegenkommend war, ist nun laut übereinstimmender Meldungen aus allen Distrikten eine sehr gedrückte. Die zunehmenden Verpflegsschwierigkeiten, die Durchführung der neuerlichen Aktionen zur Metall- und Wäscheeinbringung, insbesonders aber die letzter Zeit angeordneten großen Viehrequisitionen, die ohne Barzahlung erfolgten und den ohnehin schon knappen Viehbestand um ein Drittel verminderten, haben in der Bevölkerung starkes Unbehagen ausgelöst ... und die Zuneigung, die sie den österreichisch-ungarischen Kommandos entgegenbrachte, in erheblichem Maße vermindert. Doch ist auch jetzt von einer feindseligen Stimmung nichts zu bemerken und erweist sich die Bevölkerung fast überall als willig und gehorsam." 

Tatsächlich hatte sich ein halbes Jahr zuvor, um die Jahreswende 1917/18, nach bereits längerer durch Resignation und Pessimismus geprägter Zeit, ein letztes Mal eine gewisse Aufbruchstimmung in Wiener Regierungs- und Armeekreisen ausgebreitet, da man sich einerseits aus dem Frieden im Osten, dem propagierten "Brotfrieden", tiefgreifende Änderungen hinsichtlich der Ernährungssituation erwartete, das "Wunder von Karfreit" wiederum den Zusammenbruch Italiens oder zumindest dessen Ausscheiden aus dem Krieg in greifbare Nähe zu rücken schien. Immerhin waren österreichisch-ungarische und deutsche Truppen vom 24. Oktober bis 10. November von Flitsch und Tolmein bis an den Piave marschiert - wesentlich weiter als geplant, das vorgegebene strategische Ziel wäre der Tagliamento gewesen - und hatten dabei etwa 10 000 italienische Soldaten getötet, 30 000 verwundet, fast 300 000 gefangen und 400 000 zum Desertieren gebracht. Allerdings wurde dieser Erfolg auch als Pyrrhus-Sieg bezeichnet, da er die Truppen überlastet, vor allem aber die Versorgung des Hinterlandes besonders durch die militärische Inanspruchnahme der Eisenbahnen weiter gefährdet habe. Immerhin konnten die Provinzen Udine und Belluno, Teile der Provinz Venetien (Distrikt Portogruaro und Teile des Distrikts San Donà), Treviso (Teile des Distrikts Oderzo, Conegliano, Vittorio und Valdobbiadene) sowie Vicenza (Teile der Distrikte Bassano, Asiago und Schio) besetzt werden, ein Gebiet, das insgesamt auch von einer äußerst kleinen deutschsprachigen sowie größeren slowenischen und friulanischen Minderheiten bewohnt wurde. 

Allerdings konnte die Besatzungsmacht zunächst auf keinerlei funktionierende Lokalverwaltungsstruktur aufbauen: Hatte die Region schon darunter gelitten, zweieinhalb Jahre Etappe für die italienische Armee gebildet zu haben, so hatten jetzt die bisherigen Eliten fluchtartig das Land verlassen; dies betraf nicht nur die letzten Reste der zivilen Verwaltung, wie etwa fast alle Bürgermeister, sondern auch Industrielle, Bankangestellte, Kaufleute und Beamte. Sowohl die Besatzer als auch manche Stimmen im Nachkriegsitalien sollten die Haltung der Flüchtenden, aber auch der zurückgebliebenen "Kollaborateure" kritisieren. Seitens der sozialistischen Arbeiterorganisationen Friauls etwa wurde

formuliert: "Rohen Auseinandersetzungen mit dem Feind zogen die Politiker ihren Frieden und ihre Bequemlichkeit vor. Fast alle Persönlichkeiten, welche schulischen Einrichtungen vorsaßen, in der Landwirtschaft, Handel, Industrie oder bei den Banken leitende Stellen innehatten, folgten ihrem Beispiel." 

Noch am 14. September 1918 beklagte die k. u. k. Armee, dass sich "vielfach Schwierigkeiten daraus ergeben, dass die geflüchteten früheren Sindacci und Gemeindesekretäre nur durch minderwertige Personen ohne Kenntnis der Vorschriften und ohne Praxis ersetzt werden konnten." Der neu eingesetzte Bürgermeister von Pordenone etwa wunderte sich in seinem Tagebuch, wie er zu diesem Amt gelangt war und führte dies dann auf seine frühere Tätigkeit als Dolmetscher zurück.

Allerdings war der Großteil der Geistlichkeit im Land geblieben, wofür auch eine gewisse Distanz zum liberal-kulturkämpferischen italienischen Staat in den Jahrzehnten vor der "Conciliazione" die Ursache bilden mochte, und wurde in der Folge mit der Mitwirkung im öffentlichen Dienst (Verwaltung, Schulen, Matrikenführung) betraut. 

Im Unterschied zu den besetzten Gebieten an den Südost- und Nordostfronten war diese Region zu klein für ein eigenes Militärgeneralgouvernement. Nach Auflösung des Kommandos der Südwestfront im Dezember 1917 erfolgte eine administrative Teilung, der zufolge Rechtsprechung und Verwaltung im (größeren) Ost- und Südostteil dem Heeresgruppenkommando Boroević, der Rest der Heeresgruppe Conrad unterstellt wurde. Jede Maßnahme war darüber hinaus auch noch mit deutschen Kommanden zu koordinieren, so etwa im Dezember 1917 die Verteilung von Nahrungs- und Futtermitteln, Textilwaren, Metallen und Maschinen. Nicht ausdrücklich genannte Güter waren zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich zu 50 Prozent zu teilen. Als die deutsche Besatzung bis März 1918 abzog, blieb eine "Deutsche Vertretung im besetzten Italien" zurück. Mit der italienischen Offensive vom Oktober 1918 (Vittorio Veneto) und dem Waffenstillstand von Villa Giusti fand die einjährige Besatzungszeit ihr Ende. 

Verwaltungseinteilung des Okkupationsgebietes in Italien

Karte öffnen (1)

Sicherstellung und Abtransport von Kunstwerken und historischen Dokumenten aus Italien 1918

Akt öffnen (2)

Strafgerichtsbarkeit

Plakat öffnen (1)

Weisungen für die erste Einrichtung und Ausnützung besetzten italienischen Gebietes

Broschüre öffnen (17)

Fotogalerie

Galerie öffnen (7)
X
Tablet drehen