Einleitung

In jüngster Zeit sind sozial- und kulturgeschichtliche Periodisierungsversuche Allgemeingut geworden, die ein „langes 19. Jahrhundert“ (beginnend etwa mit der Französischen Revolution) von einem „kurzen 20. Jahrhundert“ (endend mit dem Zerfall des kommunistischen, von der Sowjetunion kontrollierten Systems) unterscheiden. Die Zäsur bildet der Erste Weltkrieg. 

Das äußere Erscheinungsbild, die Entourage, das Auftreten, aber auch das konkrete Handeln der letzten beiden österreichischen Monarchen zwingen zu einer Präzisierung dieser Hypothese: Das – bezeichnenderweise – lange 19. Jahrhundert scheint exakt am 21. November 1916 um 21 Uhr 05 dem kurzen 20. Platz gemacht zu haben, als Kaiser Franz Josef etwa in der Mitte des Krieges verstarb.  

Mit dem Wechsel der Monarchen kam es in kurzer Zeit auch zu einem Führungswechsel in den politischen und militärischen Eliten der Habsburgermonarchie: Als Bespiel sei Generaloberst Arthur Edler von Bolfras genannt, der, nur acht Jahre jünger als Franz Josef, diesem immerhin seit 1889 als Generaladjutant und Vorstand der Militärkanzlei zur Verfügung gestanden war. 

Erzherzog Carl Franz Josef, seit 1. November 1916 Generaloberst, hatte auch wahrlich wenig Spielraum für eine profundere Vorbereitung auf die Regierungsübernahme gehabt, war er doch während des gesamten Krieges an verschiedenen Fronten gestanden und vom bereits schwer erkrankten Kaiser so spät nach Wien befohlen worden, dass der entsprechende Akt gar nicht mehr unterfertigt werden konnte.

Das trotz des Krieges prächtig angelegte Begräbnis Franz Josefs wurde auch von Zeitzeugen als Abschied – wenn nicht vom Ancien Régime, so doch von einer alten Welt – empfunden, wobei Karl bereits dadurch von Beobachtern durchaus erkannte Akzente setzte, dass er mit seiner Frau Zita und seinem ältesten Sohn Otto dem Sarg folgte. Zu seinen ersten Amtshandlungen als Kaiser und somit oberster Befehlshaber der bewaffneten Macht gehörte, dass er das Bombardieren offener Städte, speziell Venedigs, verbot bzw. von seiner ausdrücklichen Genehmigung abhängig machte, was von den Militärs kritisiert wurde, da diese Entscheidung letztlich der italienischen Kampfkraft zugute kam und keineswegs auf Gegenseitigkeit beruhte. 

Die – überhastet vorgenommene – Königskrönung in Budapest zeugte zwar vom geschickten und professionellen Umgang des Kaiserpaares mit den Medien, zementierte aber gerade jenes grundlegende politische, nationale und soziale Ungleichgewicht, aus denen man seit Jahrzehnten keinen gangbaren Ausweg erkannt hatte. 

Im Unterschied zu Franz Josef, den der Zeitungsleser im Krieg kaum anders zu sehen bekam als zuvor, nämlich mitten in Wien und in recht elitärer Begleitung, profilierte sich Karl in Film und Foto immer wieder an diversen Fronten (der Terminus Technicus „Frontreise“ wurde hierfür verwendet), wo er Soldaten dekorierte, Verwundete besuchte und sich bemühte, mit der Zivilbevölkerung in Kontakt zu kommen.  

Wie weit der immer wieder postulierte Einfluss seiner Frau Zita, deren Brüder zum Teil bekanntlich auf Seiten der Entente kämpften, tatsächlich zu politischen Entscheidungen führten, lässt sich nicht bestimmen; fest steht, dass er nicht wie Franz Josef allein entschied, sondern politische und militärische Vorhaben mit ihr besprach; es erscheint zumindest naheliegend, dass sie bei der Beseitigung einer fossilen Groteske aus dem langen 19. Jahrhundert, dem Duell unter Offizieren aus Gründen angeblich gekränkter Ehre, nicht ganz unbeteiligt war, hatte sie doch ihre Kindheit und Jugend in engster Umgebung von führenden Exponenten der katholischen Antiduell-Liga verbracht. 

Wesentlicher und zukunftsträchtiger war ihr schon von Anfang an spürbares soziales Engagement, das den Kriegsopfern in Uniform und Zivil jeden Alters und beiderlei Geschlechts während der letzten beiden Jahre der Monarchie zukam und das schließlich am 30. Juli 1918 zur Gründung des Ministeriums für Volksgesundheit und soziale Fürsorge führte – womit sich das 20. Jahrhundert noch vor Kriegsende in Österreich präsentierte.

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