Einleitung

Als sich die Konfrontation der europäischen Großmächte im Hochsommer 1914, der Logik und dem Mechanismus eines komplexen Bündnissystems gemäß, zu einem Weltkrieg erweiterte, setzte dies ungeheure Emotionen, Euphorie und Pathos frei. Der Große Krieg wurde von den geistigen Eliten ausnahmslos aller Seiten mit enormen Erwartungen, mit Hoffnungen und Sehnsüchten erwartet. Purifikation, Katharsis sollte das große Geschehen in seiner elementaren Macht bewirken, die Rückführung aller Verhältnisse auf das „einfach Bedeutungsvolle“, die schmerzvolle, wenn auch unumgänglich gewordene Reinigung alles Abgelebten, Alten, Morschen.

An der durchgängigen Kriegsbegeisterung der Kulturschaffenden setzten die habsburgischen Autoritäten an und versammelten, in einer intellektuellen Parallelaktion ohnegleichen, zu Zwecken der Kriegsmassenpropaganda Literaten, bildende Künstler, Filmemacher, Fotographen in einem direkt dem Armeeoberkommando unterstellten Kriegspressequartier (KPQ) und der im Kriegsarchiv angesiedelten Literarischen Gruppe. Zunächst galt es, die aktuelle Kriegsberichterstattung zu kontrollieren und in einer Weise zu organisieren, die Assoziationen zum Phänomen des embedded journalism des ausgehenden 20. Jahrhunderts nahelegt. Die Kriegsdienstleistung der Dichter, so befand der große Kriegsgegner und Apokalyptiker Karl Kraus bereits im Dezember 1914, sei der Eintritt in den Journalismus; und es erhebe sich der Verdacht, dass die „freiwillig untauglichen Angehörigen des journalistischen Gewerbes“ ihre Handlungen aus der heroischen Überlegung heraus motivierten, „sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sichersten ist: in die Phrase.“ Herausragende Exponenten der Wiener literarischen Moderne fungierten als Kollaborateure der Kriegsanstrengung der Mittelmächte, waren Träger wie Inspiratoren jenes patriotischen Taumels, der mit einer chauvinistischen Propagandawelle sondergleichen, einem Feldzug der Worte und der Schrift eingesetzt hatte. Große Autoren von begründetem Ruf wie Hofmannsthal, Bahr, Schaukal, Roda Roda, Salten et al. sollten sich so als Wortemacher der Kriegsmaschinerie erweisen.

Eine zentrale Figur der Literarischen Gruppe war zweifelsohne Stefan Zweig. Im Oktober 1914 verfasste er einen offenen Brief An die Freunde im Fremdland, in dem er für die Dauer des Kriegs seinen Abschied von den einst so engagiert verfochtenen kosmopolitischen Ideen und Idealen proklamierte. Über beinahe vier Jahre in die habsburgische Propagandamaschinerie eingebunden, entwickelte sich Zweig in seinem literarischen Schaffen allerdings immer mehr zu einem eindringlichen Mahner vor dem Krieg. 1915 begann er mit den Arbeiten zu dem pazifistischen Drama Jeremias, das im Februar 1918 in Zürich uraufgeführt wurde und großes Aufsehen erregte. Zu eben dieser Zeit trat der erfahrene Frontoffizier Robert Musil in das KPQ ein, als verantwortlicher Redakteur von Soldatenzeitungen, die er einem umfassenden Relaunch unterzog, mit aufwändig gestalteten Kunstdruckbeilagen und Repros ausstattete und für bis dato schlicht undenkbare politische Kontroversen öffnete – etwa um Kriegswucher und Schiebertum. Musil, der davor dem Hauptquartier der Isonzoarmee als „kunsthistorischer Sachverständiger“ zugeteilt war, traf im KPQ auf den subtilen Defaitismus eines Franz Blei oder auf den kaum mehr verhüllten sozialrevolutionären Aktivismus eines Egon Erwin Kisch oder Franz Werfel.

An der Isonzofront kam, nach seiner in Wolhynien erlittenen schweren Kopfverletzung, auch ein Oskar Kokoschka zum Einsatz, bis ein shell shock seine weitere Verwendung als Verbindungsoffizier zur Kriegsberichterstattung verunmöglichte. Wie überhaupt das KPQ trachtete, die herausragenden Exponenten der modernen Wiener bildenden Kunst für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Regelmäßig wurden, im Inland wie im neutralen Ausland, Ausstellungen veranstaltet, mit Kuratoren vom Range eines Josef Hofmann und Werken u. a. von Egger-Lienz, Faistauer, Klimt, Kokoschka, Schiele. Im Wiener Prater wurden enger am Frontgeschehen orientierte Kriegsausstellungen mit originalgetreu nachgebildeten Schützengräben inszeniert. 

Jedenfalls ist das Kriegspressequartier ein kakanisches Spezifikum. Je mehr sich mit Fortgang des Krieges die Anzeichen wirtschaftlicher Erschöpfung, militärischer Zersetzung und revolutionärer Spannung mehrten, desto weiter wurde es ausgebaut: Letztlich verfügte es gegenüber seinem deutschen Pendant um einen markant höheren Personalstand und ein vielfach höheres Budget. Österreich-Ungarn stellte seine Intellektuellen und Kunstschaffenden in den Dienst der modernen Kriegspropaganda; diese selbst haben solche Vorhaben zunehmend unterlaufen. Dass Alfred Polgar, Feldwebel im Kriegsarchiv und seit Juli 1914 einer der Vorzeigeliteraten des KPQ, im August 1917 vom Dienst entbunden und Redakteur einer pazifistischen Zeitschrift wurde, mag von mehr als bloß symbolischem Gehalt sein. Es ist ein Symptom dafür, dass der totale Krieg, dessen essenzieller Bestandteil das KPQ nun einmal war, in die totale Katastrophe mündete.

 

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