Befehl des Wiener Militärkommandanten über den Umgang mit „sozialistisch-revolutionären Flugschriften“ bei der Truppe. Wien, am 7. März 1918
In den letzten beiden Kriegsjahren wuchs das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Regierung und Heeresleitung, insbesondere unter der Arbeiterschaft und bei Truppenteilen, die Kontakt mit Heimkehrern aus russischer Kriegsgefangenschaft hatten. Eindeutige Belege für die Errichtung einer „Inneren Front“ waren die sogenannten „Jännerstreiks“ zu Beginn des letzten Kriegsjahres. Am 7. März 1918 wurden zwei vom Kriegsministerium initiierte Erlässe über den Umgang mit „sozialistisch-revolutionären Flugschriften“ über das Wiener Militärkommando unter dem energischen Militärkommandanten General der Infanterie Johann Freiherr von Kirchbach auf Lauterbach an die Truppen und Anstalten seines Wirkungsbereiches hinausgegeben. Die Texte zeigen die zunehmende Nervosität der militärischen Führung Österreich-Ungarns sowie Abwehrversuche „staatszersetzender“ Aktivitäten.

Bevorstehende Hausdurchsuchung nach bolschewistischen Flugschriften in Wiener k,k. Erzherzog Rainer Spital
Bevorstehende Hausdurchsuchung nach bolschewistischen Flugschriften in Wiener k,k. Erzherzog Rainer Spital
KA, Militärspitäler, Rainerspital Nr. 2033
Die erhöhte Gefahr der Einschmuggelung sozialistisch-revolutionärer Flugschriften etc. in die Armee, sowie die Gefahr der eventuellen Verbreitung derselben durch die von der Heimat zur Front fahrenden Militärpersonen zwingt zu verschärften Vorsichtsmaßregeln.
Laut einer dem Ministerium des Äußern aus zuverlässiger Quelle zugekommener Information hat das St. Petersburger Regierungsblatt am 5. Februar 1918 einen Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrates an die Arbeiterräte von Wien und Berlin veröffentlicht, wonach der einzige Weg zum Frieden die sozialistische Weltrevolution sei. Liebknecht und Friedrich Adler werden als Helden gefeiert. Die Revolutionäre der Zentralmächte werden vor jeder Gemeinschaft mit den gemäßigten Parteien gewarnt. Schließlich wird zur Errichtung internationaler „Soviets“ aufgefordert.
Der Aufruf liegt bereits in deutscher Sprache vor und dürfte auch an der Front verteilt werden.
Zwecks Zutageförderung eventuell bereits verbreiteter Flugschriften und dgl. Wird die genaueste Durchsuchung der Habseligkeiten der Mannschaftspersonen anbefohlen. Diese Durchsuchung hat überall gleichzeitig und überraschend am 15./3.1918 stattzufinden.
In weiterer Folge ist das Gepäck sämmtlicher beurlaubter Mannschaftspersonen stets vor Antritt ihrer Urlaubsreise genauestens zu durchsuchen.
Zutage gebrachtes Material ist sofort, ohne Einhaltung des Dienstweges, direkt dem Evidenzbüro des k.u.k. Generalstabes in Wien einzusenden.
Dem Militärkommandos ist über das Ergebnis der Kontrolle am 15./3., sonst fallweise zu berichten.
An das k.u.k. Militärkommando in Wien
Wien, am 15. März 1918
In Befolg der Vdg Mil. Kmdo. Präs 5140 / Präs. Offz. / 2864 L.G. vom 7. d. M. wird gemeldet, daß die Eröffnung des <s>Couverts</s> Dienstbriefes durch den Kommandanten <s>des Spitals</s> am 14. d. M. um 8 ͪ nachm. erfolgte und die Durchsuchung der Habseligkeiten der gesamten Mannschaft vorgenommen wurde. Die Untersuchung verlief resultatlos.
Wie bekannt geworden, versendet die Zentralstelle „Völkerrecht“ (deutsche Zentrale für dauernden Frieden und Völkerverständigung) Berlin-Charlottenburg, Kantstrasse 159, Werbebriefe, in denen sie die Empfänger auffordert, für einen Frieden ohne gewaltsame Annexionen und für Völkerverständigung Propaganda zu machen. Sie bitte ferne die Empfänger um Uebersendung eines Verzeichnisses Gleichgesinnter Kameraden.
Da die Werbebriefe geeignet sind, den politischen Kampf in die Armee zu tragen, sind im eigenen Wirkungskreise entsprechende Maßnahmen zu treffen, um dieselben rechtzeitig beschlagnahmen zu können und zu vernichten.
In letzter Zeit bedienen sich sozialistische und anarchistische Vereinigungen Deutschlands anonymer Flugblätter und Flugschriften, die sie in Briefumschlägen an die Mannschaft versenden, um im Heere Unzufriedenheit zu erregen.
Da es nicht ausgeschlossen erscheint, daß auch unsere sozialistischen Korporationen ähnliche Tendenzen verfolgen, so sind im dortigen Bereiche entsprechende Maßnahmen zu treffen um das Verbreiten derartiger , auf den Geist der Armee zersetzend wirkender Flugblätter zu verhindern.
Die Mannschaft ist strengstens zu verhalten, Flugblätter jeder Art, einschließlich der Hüllen, in welchen sie übersendet wurden, sofort an die Vorgesetzten abzuliefern. Flugblätter und Hüllen sind sodann dem Militärkommando vorzulegen.
Gleichzeitig ist auch zu melden, ob der Ablieferer über den vermutlichen Absender Angaben machen könne oder nicht, ferner, ob er im Verdachte steht, zur Uebersendung selbst beigetragen zu haben.