In den Akten des für die Postzensur zuständigen Kriegsüberwachungsamtes findet sich eine bemerkenswerte Bleistiftzeichnung mit einer handschriftlich verfassten „Kriegsepisode“. Der Autor, ein gewisser Oskar Vielgut, Reserve-Infanterist des Egerländer Landwehr-Infanterieregiments Nr. 6, schildert darin unter dem Titel „Kirchweihsonntag in der Schwarmlinie“ eine fröhliche Feier im Schützengraben an der Balkanfront im Stellungskrieg gegen Serbien. Der Text wird durch die Zeichnung karikaturistisch illustriert.
Der Autor offenbart hier unbewusst die Ambivalenz des Krieges. Er schildert in humoriger Weise die ausgelassene Stimmung beim sonntäglichen Festmahl im gedeckten Schützengraben, die günstige Versorgungslage während der ersten Kriegsmonate, den Genuss von duftendem Tee mit Rum, von schwarzem Kaffee, Speck, Fleisch, Kommissbrot und verschiedenen Rauchwaren, er hebt dabei die Spendierfreudigkeit der Offiziere hervor und macht sich über die Neidbekundungen der darbenden, schießwütigen Serben und deren miserablen Schießkünste lustig.
Er lobt die Gemütlichkeit und Treffsicherheit der nordböhmischen Egerländer. Zum gemütlichen Feiern gehört es dabei auch, zwischendurch zum allgemeinen Gaudium einen gezielten Schuss auf einen unvorsichtigen Serben abzufeuern, was serbischerseits merkliche Aufregung hervorruft, die Egerländer hingegen zum fröhlichen Singen, Pfeifen und Scherzen veranlasst.
Die Unterlagen wurde am 22. Oktober 1914 vom in Uzveče stationierten 41. Landwehr-Infanteriebrigadekommando, an das kombinierte Korpskommando Feldmarschallleutnant Alfred Krauss in Jarak weiter geleitet. Von dort wurden sie, versehen mit dem Vermerk „Wegen des Lokalkolorits vielleicht für eine Egerländer Zeitung geeignet“ dem Kriegsüberwachungsamt in Wien vorgelegt, am 27. Oktober 1914 durch den Vermerk „Vom Pressbureau des Kriegsministeriums genehmigt“ zensurrechtlich freigegeben und danach der Egerländer Zeitung, dem Neuen Wiener Tagblatt und der Neuen Freien Presse zur medialen Verwertung übermittelt.

Kirchweihsonntag im Schützengraben
Kirchweihsonntag im Schützengraben
KA, KÜA Nr. 8087 ex 1914
II.
von unsren Offizieren, je nach Brauch und Leidenschaft mit Cigarren und Cigaretten noch beschenk worden sind, schon überall lachende Kirchweihmienen bemerkten. Abwechslungsreich ist des Kriegers Leben und so ward es auch bei uns. Wir haben es mit einem Feinde zu tun, bei dem Hunger, wie wir von den kriegsgefangenen Serben erfuhren, stetig vom Menagezettel nicht verschwindet und nachdem wir nur wenige hundert Schritte uns vor der feindlichen Feuerlinie eingegraben haben, dürfte der intensive Rum Geruch durch eine glückliche Windprise auch dort Halt gemacht haben, was den Feind sofort zum Neider machte. Es dauerte auch gar nicht lange, da kam dieser Neid in der Weise zum Ausdruck, dass uns serbischerseits einige Gewehrsalven verehrt wurden. Würden unsere Feinde sehen, wie wir diese Schüsse respectieren, die Serben würden es für die Zukunft unterlassen ihre Munition derartig zu vergeuden, denn ruhig wurde weiter gegessen, schiessen doch die Serben meterhoch über unsere Deckungen hinweg, sodass wir diese Arbeit abfällig nur mit Bohnenwerfen bezeichnen. So verschieden die Geschosse und Gewehre unseres Gegners sind, so manigfaltig ist auch das Pfeiffen der Kugeln. Verschiedene Bemerkungen wurden vom Stapel gelassen und so fand ein jeder Kamerad einen kräftigen Ausdruck für die diversen Spielwerke der für uns todbringend sein sollenden Bleipatzen und Stahlkugeln. Kaum hatten
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III.
sich die ersten Beobachtungsposten auf ihre Plätze begeben, so erhielten wir schon in gewohnter Weise unsere zweite Auflage in Gestalt eines schwarzen Kaffees, welcher teils in Feldflaschen zum Frühschoppen reserviert wurde, teils von den sich starke Esser nennenden Kameraden mit Aufwendung keiner geringen Anstrengung, mit einer entsprechenden Portion Kommiss der Tätigkeit des Magens überlassen wurde. Blaue Tabakwolken entstiegen unseren Tiefparterre Wohnungen, als ein auslugender Kamerad mit aller Gemütlichkeit eines Egerländers die Mitteilung machte. Du schau, dort drüben hat einer Hunger. Ein Serbe machte sich hinter seiner Deckung etwas zu schaffen, wobei man seine halbe Figur zu sehen bekam. Rasch ans Gewehr, ein wohlgezielter Schuss zeigte uns, dass er die richtige Stelle des Gegners gefunden hatte. Ein kleiner Tanz wird beginnen, das war uns allen sehr genau bekannt, und so kam erst auch, denn wir hatten den Zeigefinger ins Wespennest gesteckt. Kaum war der feindliche Soldat zusammen gebrochen, schossen die Serben wie wütend über uns hinweg und das Brrr der Fluggeschosse, als auch das Ui der Stahlmantelkugeln war in allen Tonarten vernehmbar und verlieh dem Kirchweihsonntag die Würde. Einige Schrapnells unserer Artillerie bezahlten den Lohn dafür, die Serben dürften dabei übel weggekommen sein und so war
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IV.
es auch im Nu schon wieder ruhig. Bei der entsprechenden Wachsamkeit erzählten wir uns gegenseitig Anekdoten, der eine oder der andere sang, auch Egerländer Schnadahüpfeln, auch Pfeiffquartette waren vernehmbar, litt doch keiner von uns eine Not, denn es wurde schon wieder eine Ration Speck zur Verteilung gebracht. Mittags wurden von unseren Feldküchen in grossen Kesseln, Suppe, Fleisch und Schnapper in überaus reichlichen Portionen in die Schwarmlinie gebracht und mit gesunden Appetit verzehrt. Usuell dabei sind einige feindliche Granaten und Schrapnells, uns gute Verdauung wünschend und gewöhnlich das Ziel verfehlend. Der Kanonendonner trug aber nicht im Geringsten dazu bei, uns die Kirchweih Laune zu rauben und mit Ruhe öffneten wir die soeben eingelangten Briefe und Pakete, jedoch war in allen Paketen unser lieber Kirchweihkuchen zum Fehlen gekommen. Mit einem „Heit is Kirwa, murgn is Kirwa, üwermurgn scho wieda“ wurde Nachmittags der Caffee mit einem Stück Kommiss, an Stelle des Kuchens seiner Bestimmung zugeführt. Hinterher die tägliche Fassung von Rauchtabak setzte uns in den Besitz von Gütern, welche uns Soldaten vollste Befriedigung bieten. Das Geknatter der Serben am Abende nicht nur mit scharfer Munition, sondern auch mit Exerzierpatronen,
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V.
da allen Anschein nach schon starker Munitionsmangel sich eingestellt hat, um einen möglichst grossen Radau zu verursachen, lässt uns ebenso kalt wie vordem. Unsere Ruhe aber mag den Serben nicht gefallen, da sie dadurch stets im Unklaren sind, ob sie dennoch nicht in gewohnter Art mit Hurrah aus ihren Stellungen zurück gedrängt werden. So knattern auch während der Nacht die feindlichen Gewehre nutzlos weiter, ohne uns nur irgendwie immer in unserem Vorhaben zu beeinträchtigen.
Oskar Vielgut
Reservist.
Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 6
11. Kompanie.
Vom Pressbureau des Kriegsministeriums genehmigt.
Wien, am 27. X. 1914
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KA, KÜA Nr. 8087 ex 1914
K.K. 41. Landwehr-Infanterie-Brigade-Kommando
Res Nr. 47
Kriegsepisode Reserve-Infanterist
An das k. u. k. kombinierte Korpskommando Feldmarschallleutnant Alfred Krauss
in Jarak
Uzveče, am 22. Oktober 1914
Ad Punkt 14 der Korpskommandoabfertigung vom 13. Oktober laufenden Jahres
Vorgelegt.
[Unterschrift]
4. Beilagen
Kommando des k. u. k. Kombinierten Korps Feldmarschallleutnant Alfred Krauss
Präsentiert Jarak am 23.10.1914, 11:30, Nr. 733, 4 Beilagen
Wegen des Lokalkolorits vielleicht für eine Egerländer Zeitung geeignet.
K. u. k. Kriegsüberwachungsamt zur eventuellen Verwertung vorgelegt.
24.10.1914
4. Beilagen.
[Unterschrift], Feldmarschallleutnant
Präsentiert 27.10.1914
Kriegsüberwachungsamt
8087
Videat! Pressbureau
Zur Erledigung
Schleier, Feldmarschallleutnant
sodann ad acta
29.10.[1914]
Karpáthy, Major
Kirchweihsonntag im Schützengraben
KA, KÜA Nr. 8087 ex 1914
8087
k. u. k. Kriegsministerium, Pressbureau
Beiliegender Artikel wurde der Egerländer Zeitung, dem Neuen Wiener Tagblatt und der Neuen Freien Presse zur Verwertung übermittelt.
30. October 1914, Mangesins, Hauptmann