Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
02.05.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
2.5.1915

11 Uhr vorm. wieder Sitzung; Lesung des Protokolles von gestern und Festsetzung einer kleinen Änderung bei der Variante 2. Ich glaube, beide Varianten haben nur akademischen Charakter. Sage Pogatscher, dass auch heute keine Nachrichten über irgendwelche beunruhigende Truppenbewegungen in Italien vorliegen. - Spitzmüller sagt mir, in führenden Kreisen will man wissen, dass auch die hiesige deutsche Botschaft sehr pessimistisch sei. -

Goluchowski nicht abgereist, wie mir Marszovsky mittags versichert; zumindestens war er gestern abends noch da. - AOK ist heute am Schlachtfeld, fährt morgen zurück und trifft übermorgen früh ein. - Abends ersehe ich aus einem Telegramm des Evidenzbüros, dass sich der italienische Handelsminister geäußert haben soll, die Mobilisierung sei unmittelbar bevorstehend, der Krieg unvermeidlich. Ich mache Kless telefonisch auf dieses Telegramm aufmerksam und bitte ihn, zu melden, dass ich davon Kenntnis habe, aber nach meiner Beurteilung der Lage keine Veranlassung finde, militärische Maßnahmen zu beantragen. - Zobernig macht mir höchst interessante vertrauliche Mitteilungen, offenbar aus einer Sitzung im Ministerium des Äußern: 1) Goluchowski dürfte wahrscheinlich überhaupt nicht abreisen, weil man glaubt, dass er die Verhandlungen nur stören könnte. (Ich habe das Gefühl, Burián, der ein großer Optimist ist, will ausschließlich mit Avarna verhandeln, und durch nichts und niemand gestört werden). 2) Der König soll sich im letzten Ministerrat „abfällig" darüber geäußert haben, dass die militärischen Vorbereitungen soweit fortgeschritten seien, dass nichts anderes als der Krieg übrig bleibt. 3) Burián wird allgemein als großer Optimist betrachtet. Besprach die Lage mit Zobernig und komme zum schon erwähnten Entschluss, heute keinen „Gasdampf" zu machen, wie der terminus technicus lautet.

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