Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
17.05.1915
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
17.5.1915

10 Uhr vorm. erfahre ich, dass Chef mit Metzger heute nach Pless fährt, um mit deutschem Generalstab Vereinbarungen wegen I. zu treffen. Ich bitte daher, heute nicht abfahren zu müssen; den Brief an Bolfras nimmt ein Kurier mit.

Um 11 Uhr trifft die Verständigung seitens der Militär Kanzlei ein dass die uneingeschränkte Kriegsausrüstung fortzusetzen, die sofortige Evakuierung von Pola einzuleiten ist.

Mittags erhalte ich Befehl Metzgers, den alleruntertänigsten Vortrag über die Aufstellung der Standschützen und Freiwilligen Schützen auszufertigen. Vor dem Essen sagt mir General, ich solle nach Pless mitfahren. Vor der Abfahrt erhalten wir günstige Nachrichten über den linken Flügel 1. Armee. - 3 Uhr Abfahrt -   ½ 5 Uhr an Pless. Zuerst Vorstellung bei Oberst Tappen; Chef spricht mit Falkenhayn allein. Der weiteren Besprechung, ab ½ 6 - etwa ½ 7 werden auch Metzger, Kundmann und ich zugezogen; zu reden habe ich natürlich nichts. Über die Möglichkeit, den Krieg zu vermeiden, wird nicht mehr gesprochen; es handelt sich vielmehr hauptsächlich um den großen Entschluss, wie man aus der jetzigen schwierigen Situation am besten herauszukommen vermeint. Nach einer kurzen Schilderung der Verhältnisse des südwestlichen Kriegsschauplatzes, speziell der historischen Einbruchswege durch Conrad kommt Falkenhayn auf das Kräfteverhältnis im Norden zu sprechen. Er sagt, wir und die Deutschen hätten zusammen 62 ITD, die Russen nur 52; rechnet man aber die 200.000 Mann Verluste der letzten Operationen ein, so könne man nicht mehr als 40 veranschlagen. Daraus folge nun, dass wir um mehr als 20 Divisionen stärker seien, daher soviel herausziehen könnten (Falkenhayn kalkulierte sogar 26). Falkenhayn denkt hiebei namentlich an die 11. Armee, betont aber, er wolle diese nicht ausschalten, sondern nur für alle Fälle wieder in die Hand bekommen. Hiebei denke er an eine Verwendung im Westen nur für den Fall, als dort etwas zu reparieren sein sollte, was er aber nicht für wahrscheinlich halte; ansonsten stünden diese Kräfte für andere Kombinationen zur Verfügung. Falkenhayn vertritt nun die Anschauung, man müsse unbedingt gegen Serbien offensiv vorgehen; denn nur so werde Bulgarien, mit dem eine Militärkonvention im Zuge sei, mitgerissen werden. Durch das Mitgehen Bulgariens sei aber die rumänische Gefahr beseitigt, weil sich Rumänien durch die bulgarischen Streitkräfte und 2 türkische Korps, die mitgingen, im Rücken bedroht fühlen würde. Falkenhayn rechnet, dass von den bulgarischen 5 Korps 2 gegen Serbien gingen und 3 stehen blieben. Unser Chef vertritt die Anschauung, dass man Bulgarien. und Rumänien noch durch verschiedene Mittel (Einschüchterung, Einwirkung auf die Königshäuser, Geld) gewinnen könne. Falkenhayn meint, nur der Angriff auf Serbien könne ziehen. Falkenhayn präzisiert schließlich die Frage, um die sich die weitere Besprechung dreht: Vorausgesetzt, dass Italien losgeht und wir die Russen vom San und Dnjester zurückwerfen: sollen wir, um Rumänien, Bulgarien und die Türkei auf unsere Seite zu bekommen, zunächst gegen Serbien losgehen oder zuerst gegen die Italiener einen Schlag führen. Falkenhayn ist für das Erstere, Chef für das Letztere. Chef begründet seine Anschauung damit, dass Italien der stärkere, daher gefährlichere Feind sei; 800.000 Mann stünden fertig an unserer Grenze, von wo der kürzere Weg nach Wien führt; die Serben zählen nur 180.000 und haben einen viel weiteren Weg. Nun verschnappt sich Conrad ein wenig, indem er erwähnt, wir hätten 240.000 Mann gegen Serbien; obwohl er sich bald berichtigt und daher anführt, dass davon über 100.000 Mann Landstürmer und Besatzungen sind, greift Falkenhayn dies auf und meint, dann müsste die Operation, wenn er noch etwa 6 deutsche (oder deutsche und österreichische) Divisionen dazu bekomme, doch gelingen. - Über diese ganze Frage kommt es zu keiner Einigung; die ganze Besprechung verläuft daher eigentlich ohne Ergebnis. Falkenhayn sagt, er werde die ganze Sache noch in seinem Kopf ausbrausen lassen und ihm keinen Vortrag halten. Vielfach bewegt sich die Diskussion auch in sehr theoretischer Bahn (Wesen des Gebirgskrieges; Streitfrage, welchen der beiden Gegner, den stärkeren oder den schwächeren man anzugreifen habe u.s.w.) Ich habe den Eindruck: Falkenhayn glaubt daran, 26 Divisionen aus der Front gegen die Russen herausziehen zu können (ich glaube jetzt nicht daran). Von diesen Divisionen möchte er 6 gegen Serbien, die übrigen defensiv gegen Italien verwenden; sobald das Mitgehen Bulgariens erreicht ist, würde sich alles gegen Italien wenden. - Nach der Besprechung Imbiss mit kaiserlichem Rheinwein; einige Telegramme Bülows werden verlesen, die wenig Hoffnung auf eine friedliche Lösung lassen. Um 730 Abfahrt, 845 Ankunft Teschen. - Falkenhayn macht auf mich den Eindruck eines mehr lebhaften als scharfen und methodisch denkenden Kopfes; C., der sich sonst nicht ungern in Phantasien ergeht, scheint heute mit seiner ganzen Anschauung (dass der Angriff und Serbien kein greifbares Ergebnis zeitigen werde) Recht zu haben. Vederemo!

X
Tablet drehen