Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
12.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
12.9.1915

Vormittag neuerdings eine Aussprache mit Kageneck, in der ich meine Ansicht über die Kraft der organisierten Verteidigung auseinandersetze. - Soviel ich ersehe, kommt man noch zu keinem definitiven Entschluss über die endgiltige Einstellung der Offensive (die ja der Feind schon längst „eingestellt“ hat) - wohl aber macht sich eine diesem Gedanken zugänglichere Stimmung bemerkbar. Auch Kundmann gegenüber äußere ich mich sehr offen in gleichem Sinne wie gegenüber Kageneck.

Die Vormittagsmeldung über Italien lässt erkennen, dass die Italiener den Infanterieangriff gegen Flitsch fortsetzen. Besonders heftig wurde gestern im Vršičgebiet gekämpft. Der feindliche Angriff wurde dort wie immer abgeschlagen. Ein allgemeiner Angriff hat sich vorläufig noch nicht entwickelt. -

Nachmittags Verabschiedung der Marschkompagnie/73.

Der Marschall hielt eine kurze Ansprache, in der er seiner Freude Ausdruck gibt, dass sich viele Leute freiwillig gemeldet haben. Weiters sagt er, die Kompagnie möge sich so gut wie die frühere schlagen, und wünscht ihr Gottes Segen auf den Wegen. - Der Truppe sieht man die nur 8wöchige Ausbildung deutlich an; es fehlt, trotzdem sich die Leute sichtlich zusammennehmen, an Disziplin und Strammheit. Auch viele sehr blasse, schwächliche Leute sind darunter, die bestimmt nicht einen Marsch aushalten. Endlich ist die Ausrüstung nicht mehr erstklassig; viele Monturen sind nicht mehr feldbrauchbar: Kurz: Es wäre höchste Zeit, die Marschformationen einmal 3 Monate auszubilden. - Nach dieser Sache: Vorführung dressierter Sanitäts-, Zug- und Kriegshunde. Viel Spielerei, nämlich was die taktische Verwendung der Hunde betrifft, aber auch manches Brauchbare für den Gebirgs- und Karstdienst.

Nachmittags oder abends kam ein Telegramm Falkenhayns voll ernster Vorwürfe über die verpfuschte Lage und mit der dringenden Forderung, die Offensive sofort einzustellen. (Original habe ich nicht gelesen). Dieses Telegramm provozierte, wie ich höre, bei unseren Köpfen die Stimmung: „Auslaufen lassen“; also das Schlimmste, das geschehen kann. - Heute wurde Pflanzer wieder durchbrochen; der Truppenschinder und Verderber hat überdies trotz der Androhung des AOK. mit gerichtlicher Untersuchung alle Marschbataillone eingesetzt. - Die Südarmee nahm das Korps Marschall zurück. - Nur hier, hier kann man sich nicht entschließen! - Das erwähnte Telegramm Falkenhayns ist tatsächlich in den schärfsten Ausdrücken gefasst und gipfelt in dem Verlangen: „Aufgeben aller weiteren Offensivversuche und entschlossener Übergang zur Verteidigung in einer festen Linie“. - Antwort scheint nicht erfolgt zu sein. Dagegen ergeht ein Befehl, der die „Offensive“ am Nordflügel der 4. Armee auslaufen lässt, die Einstellung. des Angriffes der 1. Armee und die Armeeverschiebung von 2 Divisionen dieser Armee nach Mlynów zur Verfügung der 2. anordnet, den übrigen Armeen aber nur „zunächst, bis zur Einreihung der Marschformationen und zum Eintreffen der Verstärkungen“ die Behauptung der innehabenden Stellungen vorschreibt. Ein radikaler Entschluss wurde also nicht gefasst.

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