Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
13.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
13.9.1915

Vormittag: Es macht den Eindruck, dass der Russe immer mehr Courage bekommt; er geht jetzt sogar schon Teile der 4. Armee, und anscheinend nicht ohne Erfolg, an. Das Wort „Durchbrochen“ nimmt in unserer Meldetechnik bereits einen sehr breiten Raum ein! - Wiederhole heute gegenüber Kageneck nochmals meine Auffassung: Allerdings kann es bald zu spät werden...

Die Mittagsmeldung über den Südwesten ist gut.

Gestern wurden alle - sehr heftigen - Angriffe der Italiener gegen den Raum von Flitsch und den Tolmeiner Brückenkopf abgewiesen. Boroević geht morgen nach Marburg; Dankl wollte Mitte Oktober (wohl zum Winteraufenthalt) nach Bozen. Ich beantrage, dieses Kommando schon um den 20. September hinzuverlegen und diese Verlegungen zur Unterstützung der jetzt zu verbreitenden falschen Nachrichten über Angriffsabsichten der Monarchie im Südwesten auszunützen.

Für die Haltung Rumäniens sind Aufzeichnungen charakteristisch, die eine Äußerung des rumänischen  Ministerpräsidenten Bratianu gegenüber dem deutschen Gesandten in Bukarest vom 6. diesen Monates betreffen: Rumänien wird neutral bleiben. Wenn die Offensive der Zentralmächte gegen Serbien erfolge, werde dies zwar in Rumänien eine Aufregung hervorrufen, aber nicht das Heraustreten Rumäniens aus der Neutralität nach sich ziehen. - Eine diesbezügliche Verpflichtung gegenüber der Entente bestehe nicht. Die Nachricht der Frankfurter Zeitung, dass die rumänische Regierung in Nisch und Athen im Sinne der Wünsche der Entente gewirkt habe, sei falsch, Allerdings sei ein neuer Balkankrieg Herrn Bratianu unerwünscht. Die Meldung des Journal de Genève, dass Rumänien mit der Entente abgeschlossen habe, sei falsch, wird dementiert werden. (Ist mittlerweile geschehen). Auch die Nachricht, dass Russland mit Rumäniens Zustimmung Truppen durch die Moldau nach Siebenbürgen dirigieren werde, sei falsch. Endlich bestehe nicht die Absicht, in England oder Frankreich eine Anleihe aufzunehmen. Nach den jetzigen Ereignissen in Ostgalizien dürfte es anders lauten… - Nachmittags: Die Lage in Ostgalizien wird immer verworrener. Eine Armee nach der anderen bekommt eine aufs Dach. Wie Krieg geführt wird, beweist eine Meldung Pflanzers, aus der hervorgeht, dass seine Armeegruppe seit Beginn des Monates 30.000 Mann verloren hat. Heute griff die Gruppe aus dem Brückenkopf Zaleszczyki wieder an; der Russe machte jedoch einen Gegenangriff und drängte sie bis nahe an den Dnjester zurück. Christophori klagt, dass von der 19. ITD 5000 Tschechen samt Offizieren zum Feind übergegangen seien. Ich bin überzeugt, dass nur die Unordnung daran schuld ist; man mache die Probe und gebe die Division auf den südwestlichen Kriegsschauplatz! - Bei der Heeresgruppe Erzherzog Josef brachen 5 Reichswehr Regimenter über die Stubla vor, die gestern von uns als unpassierbar gemeldet wurde; natürlich „Äußerung“. Die gestrige Antwort des Erzherzogs auf die Frage wie er die Lage beurteile, war äußerst unklar. Einerseits sprach er von Erschöpfung der Truppe, andererseits bezeichnete er ihre Angriffskraft als ungebrochen. In einem Atem sagt er, er habe nur schwachen Feind gegenüber und müsse daher einen Erfolg erzielen können, dann gleich darauf, die Angriffsverhältnisse seien sehr schwer. Er will diesen Erfolg von beiden Flügeln der Heeresgruppe anstreben; also auch durch den Südflügel der 1. Armee! Und am Nordflügel soll eigentlich 1 Division die Entscheidung bringen. - Interessant ist auch der Einsatz des VI. Korps. Dieses wird sofort zerrissen; seine Divisionen kommen zu verschiedenen Armeen. Und Pflanzer spaltet gleich von der Tȇtedivision ein Regiment ab, das er nach Horodenka dirigiert. Kriegsgliederung? Ordnung? Hält man denn nur in der Kriegsschule darauf? Ach, nicht einmal dort genug!

Die Abendmeldung über den Südwesten hat den Tenor: Ruhe. Bei Flitsch und Tolmein scheinen die Katzelmacher genug zu haben. - Abends nach dem Nachtmahl spricht mich Conrad an; er meint: Jetzt ist es ja unten beruhigender wie oben. Ich sage: Vollkommen beruhigend. 300.000 Gewehre gegen 600.000; auch unsere Verluste in letzter Zeit waren gering.

Conrad macht den Eindruck, dass ihm die Ereignisse oben sehr nahe gehen. Er ist eigentlich ein armer Mann. Ich sehe heute, wie er orientiert wird. Er und alle „Gasdämpfe“ über einer Karte; Brantner liest die Meldung der 4. Armee von einem nicht einmal aufgeklebten Hughes-Streifen herunter! Und da soll der Chef des Generalstabes einen Eindruck gewinnen…

Abends ergeht endlich ein Befehl an die Heeresgruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand zur Einstellung des Angriffes. Natürlich wieder nicht sehr kategorisch und unter Begründung mit einem Hinweis auf die allgemeine Lage, die eine Verschiebung möglichst starker Kräfte zur zweiten Armee und weiter südwärts erfordert. Aber immerhin ein wesentlicher Schritt zum Besseren! -

Abends spreche ich noch einmal mit Kageneck, immer in demselben Sinne, sodass er schließlich daran glauben muss; ich verhehle auch nicht, wie gut eine Aussprache zwischen den beiden Chefs wäre, und zwar je eher desto besser.

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