Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
14.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
14.9.1915

Um ½ 9 Uhr vormittags nach dem Morgenritt treffe ich Kageneck, der Falkenhayn erwartet. Kageneck klagt mir über mangelhafte Orientierung; ist im Übrigen ganz Feuer und Flamme für den radikalen Entschluss zur reinen Verteidigung. Er erzählt mir auch, Conrad habe sich geäußert, das mache er nun schon 13 Monate mit, man dürfe nicht gleich die Nerven verlieren! - Circa 9 Uhr kommt Falkenhayn; konferiert etwa 1 Stunde mit Conrad.

Ergebnis, wie ich höre: reine Verteidigung; XVII. Korps, das für den Balkankriegsschauplatz bestimmt war, fährt zur 2. Armee. Die Serben werden also (vielleicht nicht ohne Hintergedanken) den Deutschen ganz überlassen. - Die Tschechen haben sich bei der 19. ITD wieder besonders „ausgezeichnet“. 35 Offiziere, 6500 Mann. (mit 24 MG) gingen zum Feind über; die Ungarn schossen in die Verräter hinein. Auch mein einstiges Bataillon ging erst über persönliches Eingreifen eines deutschen Generals vor!

Im Südwesten ist nach der Mittagsmeldung auch bei Flitsch und Tolmein Ruhe eingetreten. Nur so weiter, dann haben wir dort im Frühjahr eine Armee von 500.000 Mann und zwar gute, ausgeruhte, disziplinierte Truppen.

Das Ergebnis der heutigen Besprechung der beiden Chefs ist ein höchst merkwürdiger Befehl, der mehr für das Gemüt bestimmt sein soll, als er operative Gedanken enthält. Wenn man einen solchen darin finden will, so ist es der: Jeder bleibe, wo er steht, Das reicht aber in der jetzigen Lage nicht mehr aus; es müsste eine geordnete Verteidigung organisiert werden, was ohne Zurückgehen nicht möglich ist. übrigens haben alle moralischen Injektionen - wenn überhaupt - nur die eine Wirkung: Sie nötigen den Leuten draußen ein Lächeln ab. Besonders pikant wirkt die Erwähnung, es müsse nun gehalten werden, wie in der Karpatenschlacht; und dann das wohl unfreiwillige Eingeständnis, wenn hier (das heißt an der ostgalizischen Front) gehalten werde, sei der Feldzug gegen Russland gewonnen (also offenbar durch die Deutschen!). - Pflanzer wirtschaftet mit Zeynek nach wie vor in unverantwortlicher Weise mit den Truppen. Am Dnjester gab es wieder ein Debakel, an dem auch das I.R.7 (Graz), diese brave Truppe, beteiligt war. Das müssen Führungsfehler sein. Und jetzt macht dieser Heerverderber wieder mit seinen letzten Bataillonen einen Gegenangriff östlich der Strypa, wo er aller menschlichen Voraussicht nach wieder eine aufs Dach bekommt. -

Nachmittags fragt Salis an, wann die 59.ITD abzugehen habe; frühestens könnte sie das am 17., am 20. jedoch erst wäre sie retabliert. Selbstverständlich antworte ich: nach Retablierung. Die Sache ist nicht so dringlich, nur Ordnung, Ordnung, und immer wieder Ordnung.

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