Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
17.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
17.9.1915

Ein Blick in die Morgenmeldung bestätigt mir meine gestrige Vermutung, Bei der 4. Armee ist das X. Korps (mit sehr ermüdeter Truppe, natürlich, von dem vielen Hin- und Herschieben und wahrscheinlich „Nichtsfressen“) mehrfach durchbrochen: Der Russe geht nach. Das AK. ordnete den Rückzug hinter die Putilowka an. Die Nachbarkorps, XIV. und IX. müssen sich dieser Bewegung anschließen. - Gegen Mittag fragt mich Mor um meine Ansicht in einer wichtigen, persönlichen Frage. über Anregung Tiszas beim Kaiser bereitet sich die Enthebung Tersztyánskys vor. Wahrscheinlich wird diese Frage noch heute entschieden werden müssen. Mor nimmt nun Boroević als Ersatz für Tersztyánskys, Rohr als Ersatz für Boroević, Kövess oder Colerus als Ersatz für Rohr in Aussicht. Nach meiner Ansicht wäre die Entfernung Boroevićs vom I.-Kriegsschauplatz natürlich sehr zu begrüßen; es bleibt aber zu bedenken: 1), dass Boroević vor der öffentlichen Meinung noch weiter wächst, wenn man ihn nun schon auf dem 3. Kriegsschauplatz vor eine schwierige Aufgabe stellt, 2) ob er den Schwierigkeiten dieser Aufgabe gewachsen sein wird. Diese Schwierigkeiten sind vielfacher Natur. A) Die Doppelstellung in der Unterordnung; einerseits unter Mackensen, andererseits unter die Einflüsse des AOK; B) die Unzulänglichkeit des Instrumentes: nur 2 wirkliche Divisionen (vom Südwesten) sondern lauter „Uzlknuten“ (minderwertige, erst jetzt formierte, nicht voll ausgerüstete Landsturmdivisionen); C) die operativen und taktischen Anforderungen, die wahrscheinlich sehr bedeutend sein werden, da dieser Heeresgruppe die Demonstration zufällt und sie vermutlich den ersten Stoß der Serben auszuhalten haben werden. Immerhin rate ich pro, da Boroević bei der starken 5. Armee noch größeren Schaden stiften kann und überdies das Verhältnis zu seinem vorgesetzten Kommando ein unleidliches ist. -

 

Mache nun die ersten Anfänge mit der Germanisierung des I-Kriegsschauplatzes. Im heutigen Communiqué sind die Plateaus (Hochflächen) bereits deutsch benannt. Doch dies ist nur eine Kleinigkeit; allen Ernstes lege ich ein Konzept vor, das eine energische Verdeutschung von Südtirol anbahnen soll (Ansiedlung von Deutschen, Grundkäufe Abschaffung italienischer Straßen-, Aufschrifts-, Orientierungstafeln, deutsche Namen in unseren Karten u.s.w.).

Abends: Heute ist ein Tag von Personalkrisen und Entschlüssen größter Tragweite. Falkenhayn hat 2 deutsche Divisionen zur Herstellung der Lage bei der 4. Armee zur Verfügung gestellt; jedoch unter der Bedingung, dass der deutsche General das Kommando übernimmt. Dem wurde zugestimmt; der Erzherzog hat sich also wohl krank melden müssen, und der arme Paić auch; denn ihm wurde GM. Berndt. als Armeegeneralstabschef vorgesetzt. Und dies alles in einer großen Krise! Denn der Gegner setzt den Angriff gegen die 4. Armee fort. Das X. Korps (5 Divisionen stark scheint in elendem Zustand zu sein; die Truppe ganz ermüdet, ohne jede Widerstandskraft. Hätte man heute 2 Divisionen bei Luck!) Die Armee geht hinter die Styr - Ikwa Linien zurück. Natürlich Nachtmarsch. Die armen Truppen! Aber die Deutschen werden es schon einrenken; natürlich dürften sie nicht vor etwa einer Woche fühlbar werden. In Ostgalizien scheint die Gefahr beschworen; teilweise geht der Russe sogar zurück; sei es unter dem Eindruck des Vorstoßes Pflanzers und der Festhaltung der Südarmee, sei es zum Zweck von Truppenverschiebungen an die immer mehr bedrohte Nordwestfront. - Eine Unzahl von Befehlen und Hughesgesprächen. Ihr Hauptinhalt: In Ostgalizien halten, nicht angreifen, nicht nachgehen oder doch nur mit Detachements, das ist gut. Und das XVII. Korps wird mehr nordwärts verlegt. Auch sonst ist eine Verlegung der Reserven an die nördlichen Armeeflügel zu beobachten. - Die Tersztyánsky - Krise ist auch eingetreten. Und auch wir im Südwesten haben unsere kleine Krise. Die beiden Generale in Tarvis haben sich bei der Beschießung recht feig benommen und sind daher enthoben. - Die Operation im Norden hat von den „Jung-Türken“ (der Jugend der R-Gruppe) den Namen: „Herbstsau des k.u.k. Ostheeres“ bekommen. Diese Herbst ? wird in mehrfacher Richtung ungeheure Nachwirkungen zeigen. 1) Sind wir nun den Deutschen ganz ausgeliefert, 2) haben sie den Einsatz aller für den Balkan bestimmten Kräfte des nördlichen Kriegsschauplatzes herbeigeführt. Wir konnten also unsere Konvention mit Bulgarien nicht einhalten und haben daher dort - und in der Folge am ganzen Balkan - unser Prestige verloren.

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