Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
20.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
20.9.1915

Lese heute einen Bericht Klepsch's über die Schlacht an der Marne. Interessant ist, dass Major Hentsch den Rückzug des deutschen Heeres anordnete. Er erhielt hiezu von Moltke unter 4 Augen die Ermächtigung (bis in die Linie Soissons - Fismes - Châlons s.M.), fuhr zu allen Armeekommandos, bei 1. beginnend, fand das 3. in sehr gedrückter Stimmung und befahl den Rückzug, als er beim 1. erfuhr, dass die französischen Kräfte, die die rechte Flanke der 1. Armee bedrohten, bedeutend stärker waren als ursprünglich angenommen worden war. Hentsch brachte Moltke die Meldung, als dieser gerade Graf Üxküll zu Gast hatte, der ihm den Theresienorden überbrachte. Moltke fuhr dann selbst zu den Armeen, fand den Rückzug ungenügend und ordnete das weitere Zurückgehen hinter die Aisne an.

Die 4. Armee hat in der vergangenen Nacht feindliche Angriffe gegen ihre Brückenkopfstellungen (mit beiderseitigen großen Verlusten) bei Luck zurückgeschlagen. Der eigentliche Angriff dürfte aber erst heute und morgen kommen. Die Gesamtverluste während der Herbstsau betragen 182.000 Gewehre! Gewehre muss man sagen: Denn diesen Verlust spüren wir momentan wenigstens noch mehr als jenen der Leute; die XV. Marschbataillone dürften nicht rechtzeitig ausgerüstet werden können. -

Deutschland veröffentlichte heute die Feuereröffnung auf die serbischen Batterien, um Rumänien zur Stellungnahme zu veranlassen und zugleich auch die Lage dahin zu klären, dass gegen Rumänien nichts beabsichtigt ist. - Bulgarien mobilisiert also tüchtig. Gegenüber der Front zwischen Donau und Leskovac marschieren 8 Divisionen und die Mazedonische Legion auf, zusammen wohl über 200.000 Gewehre. Die Deutschen führen im ganzen 11 Divisionen heran; davon 8 im Banat, 3 in Syrmien. Im Ganzen schätze ich das Zahlenverhältnis etwa auf 550.000 zu 250.000 Gewehren also doch eine genügende Übermacht; namentlich wenn man bedenkt, dass die Deutschen eine noch nie dagewesene Artillerie entwickeln. Bezeichnend für die Stimmung in Bulgarien ist eine köstliche Abfuhr die sich der italienische Militärattaché in Sofia gefallen lassen musste. Er verlangte vom Kriegsminister, dass sich Bulgarien der Entente anschließe. Žekow bemerkte, die Lage des Vierverbandes sei nicht so günstig, um sich derzeit demselben anzuschließen; übrigens versicherte er ihn, dass ganz Bulgarien sich einem Zusammenwirken mit Italien widersetzen würde, da kein Bulgare es begreiflich finde, dass ein Alliierter seinen langjährigen Freund angreifen könne. Militärattaché antwortete beleidigt: Nun, dann werden wir als Feinde gegeneinander vorgehen. Žekow verbat sich diese Drohung, da sie dem Militärattaché nicht zustehe!

Auf dem I-Kriegsschauplatz nicht viel Neues. In Tirol begann gestern die 42 cm Haubitze zu schießen; sie scheint aber ungeschickt verwendet worden zu sein, beschäftigte sich hauptsächlich mit Ortschaften in der Gegend von Serravalle, wurde selbst beschossen, wobei der Kran durch einen Zufallstreffer beschädigt wurde. Im Übrigen kitzelt der Feind in den Hochgebirgsregionen (Adamello, Tofanagebiet u.s.w.). Der Flitscher Angriff ist endgültig gescheitert; auch bei Vršič gingen die Italiener in ihre Hauptstellung zurück.

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