Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
28.09.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
28.9.1915

28.9. 1915

Die 10. Armee wird bereits zum Zusammenschlusse mit dem Südflügel der Njemen Armee am linken Flügel, zunächst bis in die Linie Wolkolate, Swalki - Iza zurückgenommen. Die Oberste Heeresleitung trachtet, Heeresreserven herauszuziehen. Bei der 12. Armee sind dies bereits 2 Divisionen. Von besonderem Interesse ist die Beurteilung der Lage durch Linsingen: „Der Feind wird soweit zurückgehen, bis er sich von der Bedrohung seiner linken Flanke befreit glaubt, das ist bis hinter dem Goryn, und dann unsere linke Flanke angreifen. Eine Umfassung der russischen Kräfte westlich des Goryn und der Stubla wird kaum möglich sein, wohl aber wird es unseren überlegenen Kräften leicht gelingen, ihn über diesen Abschnitt zurückzuwerfen; dies muß mit allen Kräften angestrebt werden, dazu geht alles in östlicher, linker Flügel in nordöstlicher Richtung vor. Ziel der Operation ist die Einnahme von Rowno. Ob dieses Ziel durch unaufhaltsames Vorgehen der Gruppe Gerock und der Kavallerie über den Goryn gegen die Bahn Rowno Sarny verfolgt werden kann, oder ob westlich des Goryn noch eine Umgruppierung erforderlich ist, können erst die Geschehnisse der beiden nächsten Tage zeigen.“ (Auszug) - Ich habe den Eindruck, dass die Offensive Linsingens zu weit geht, ausserhalb der Grundabsicht fällt, jetzt endlich Ruhe zu geben und Kräfte für große Entscheidungen (Balkan, eventuell Frankreich) bereitzuhalten. Überdies zeigen die feindlichen Verschiebungen, dass die ganze Sache nicht viel Chancen hat. -

Unten nach Mittagsmeldung wieder nichts los. Lege mittags ein längeres Konzept „Direktiven -und- Erfahrungen“ an die Südwestfront vor, dass die traurigen Erfahrungen der Herbstsau verarbeitet und den Führern unten Anhaltspunkte geben soll, wie es nicht gemacht werden darFalkenhayn Werde mir daraus einige Notizen machen, sobald es genehmigt ist. - Nachmittags ziemlich heftige Debatte nach allen Seiten. Jeder glaubt, jetzt könne die Südwestfront Kräfte abgeben. Natürlich bestehen ganz falsche Vorstellungen, eigentlich gar keine, über unseren Gegner, über Besetzungsdichte, Frontlänge u.s.w. Vorläufig spielt diese Debatte nur unter der Jugend; ich bin aber darauf gefaßt, dass man bald. ähnliches auch von Oben fordern wird. Keiner weiß natürlich, dass auch die Isonzofront 120 km lang ist und daher im Durchschnitt auch nur 1 Mann pro m steht… Und dann: Oben im Norden verbraucht man ganze Korps, wenn man sie in die Schlamastik hineinwirft. Freilich kann man nirgends halten, weil man nicht weiß, wo man halten will, ja weil man überhaupt nicht halten will: Man lese nur das Interview des Journalisten König bei Conrad, das heute zu meinem Entsetzen in der Morgenzeitung steht „Bei allem Heldentum einer Defensive gegenüber einer 4fachen und 5 fachen Übermacht mag es doch hinreißend sein, einen stürmischen Vormarsch siegreicher Armeen mitzuerleben. u.s.w. u.s.w.“ ----- Man lese und weiß genug. Stürmischer Vormarsch! Siegreiche Armeen, die in 4 Wochen über 20.000 Mann verlieren und nichts erreichen - Abends höre ich, dass Linsingen den Vormarsch einstellt.

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