Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
27.10.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
27.10.1915

Die Mittagmeldung über die Lage im Südwesten ist äußerst interessant. Da die Ruhe vor der Front der 5. Armee im Allgemeinen anhält, glaubt das Kommando der Südwestfront, dass die 3. Schlacht am Isonzo zu einem siegreichen Ende gekommen sei, obwohl noch erhebliche italienische Kräfte (etwa 5 Divisionen) nicht eingesetzt wurden. Ich kann diese Auffassung nicht teilen, sondern glaube an eine Erneuerung des Angriffes. Jedenfalls sind wir außerstande, im Communiqué schon den Sieg zu verkünden; man könnte sich dadurch unsterblich blamieren. Ich sage daher, dass die Italiener den allgemeinen Angriff gestern nicht mehr mit so großem Aufwand an Menschen und Munition fortführten wie in den früheren Tagen und dass sie mit dem Einsatz ihrer zurückgehaltenen Kräfte noch zögern. Ich hielte es für gut, wenn dieser Einsatz demnächst erfolgen würde; abgeschlagen würde auch dieser Angriff, und wir hätten einen wirklich vollen Sieg und für Monate Ruhe, während sonst ein latenter Zustand der Beunruhigung bleibt, der einen höheren Bereitschaftsgrad erfordert und die Abgabe von Kräften verhindert. - Heute soll ein Memoire des Chefs an die Militärkanzlei abgehen, das mir wie eine Sammlung von Unklarheiten vorkommt. Es gipfelt in Betrachtungen über die Schwierigkeiten eines Kampfes auf 3 Kriegsschauplätzen und die Notwendigkeit mobiler Reserven, die bald da bald dort auftauchen, aber nirgends als dauernde Verstärkungen betrachtet werden sollen. Die Denkschrift hat einen pessimistischen Zug und auch eine gewisse Bissigkeit gegen den italienischen Kriegsschauplatz. - Ich halte sie für eine Gewissensberuhigung eines Führers, dem alle Fäden entglitten sind. Dies ist tatsächlich schon der Fall. Was für einen. Entschluss können wir noch fassen? Gar keinen. In Serbien führen die Deutschen; in Russland sind wir von ihnen abhängig, wenn etwas Ernstes losgeht und gegen Italien siegen andere Feldherren. Dies letztere, ja überhaupt die Erfolge unten werden manchen Leuten sichtlich unbequem. So bemerkte heute Christophori der zumeist ein Echo ist, es bilde sich jetzt schon à la 1866 eine Südarmee heraus, die seinerzeit die Nordarmee nicht anschauen wird, eine Armee mit den besten Truppen u.s.w. u.s.w. Der Neid also beginnt sich zu regen; auch eine der edlen Eigenschaften, die der Krieg zeitigt... - Schon die Abendmeldung scheint meinen Vermutungen Recht zu geben: Das Artilleriefeuer wurde wieder an der ganzen Front der ganzen 5. Armee lebhafter, im Flitscher Becken und am Nordwestrand von Doberdò setzten neue Angriffe ein.

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