Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
08.11.1915
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
8.11.1915

Gestern entschloss ich mich, nun ein ausführliches Elaborat über die Grenzfrage anzugehen, denn diese kann jeden Augenblick aufs Tapet kommen. Aus Andeutungen Wiesners entnahm ich, dass man den status quo nicht für ein besonderes Unglück hält. Im Ministerium des Äußeren scheint man schon wieder auf dem Standpunkt zu sein, unserem Feind goldene Brücken zu bauen. Überhaupt besteht dort eine schwächliche Auffassung in allen Dingen. So wird jetzt ein furchtbares Geschrei wegen der Chiesa degli Scalzi erhoben, in der der kostbare Deckenschmuck des Tiepolo durch eine unserer Fliegerbomben vernichtet wurde. Diese Kirche liegt aber weniger als 100 m vom Schienenstrang, die Kunstjünger vergessen ganz, wieviel Leid der italienische Krieg schon über uns gebracht hat, wieviel Menschenleben (die mehr wert sind als alle Malereien Italiens zusammengenommen) schon geopfert werden mussten. - Laut Mittagsmeldung ging gestern die Spitze des Col di Lana vorübergehend verloren; zwar gewann ein Gegenangriff den Berg wieder zurück, ich habe aber den Eindruck, dass hier Versäumnisse der Führung vorliegen. Die Deutschen haben Monate hindurch gehalten und nichts ist geschehen; jetzt geht es „Schlag auf Schlag“. Und das „die Stellung ist fest in unserer Hand“ kennen wir schon. Tatsächlich scheinen die Italiener hier in die Tiroler Hauptstellung eingebrochen zu sein. Nach reiflicher Überlegung geht auf Grund der letzten Vorkommnisse ein Befehl hinaus: „An Dolomitenfront scheint feste Führung nachgelassen zu haben, da Feind, dessen Angriff dort erwartet wurde, am Col di Lana in Tiroler Hauptstellung einbrechen konnte. LVK ist aufzufordern, über dortige Kämpfe seit Kommando Übernahme durch XIV. KK. umgehend im Dienstweg zu berichten. Ich vertrete auch sogleich die Ansicht, dass man gegenüber Roth sehr energisch auftreten müsse; es geht doch nicht, dass er auch hier wieder alles verpatzt! - Conrad wandte sich heute mit einem Telegramm an Kövess, worin er um dessen Urteil fragt, ob die serbische Armee tatsächlich der Auflösung entgegengeht und wie - ganz ungeschminkt - der Zustand unserer Truppe sei. Das ist vernünftig und wie ich glaube hoch an der Zeit. Überhaupt scheint auf dem B-Schauplatz etwas Großes vorzugehen. Ich kriege leider die Akten nicht zu Gesicht, höre aber, dass Falkenhayn deutsche Divisionen herausziehen will. In Pleß soll zwischen den beiden Chefs vereinbart worden sein, Mackensen anzubefehlen, dass er, sobald es die Lage erlaubt, 4 Divisionen herausziehen und nach der Donau in Marsch zu setzen habe. Auf das hin sei mit dem Herausziehen sofort begonnen worden. Man weiß eigentlich nicht, wozu; vielleicht für Frankreich? Oder wegen der Reni - Expedition der Russen? - Die „R-Gruppe“ will nun auch an die Front fahren. Spät, aber doch; und wie ich höre mit gemischten Gefühlen. - Die Abendmeldung enthält nichts Besonderes. Nach der Nachtmeldung, die übrigens schon recht zeitlich kommt, scheint es im Krngebiet wieder lebendiger zu werden.

X
Tablet drehen