Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.12.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.12.1915

Heute Vormittag wurde General Metzger auffallenderweise von Exzellenz Krauss (Marburg) aufgerufen. Gegen Mittag kommt Metzger herunter zu uns und sagt mir, Krauss habe sich um Direktiven für die nächste Zeit und um weitere Absichten gegen Italien angefragt, worauf ihm geantwortet wurde, die Lage muss zuerst mit Pleß besprochen werden. Dies soll nun in nächster Zeit erfolgen. Dabei soll es sich zunächst um die Grundfragen handeln: ob Deutschland erwartet, dass ihm Italien in nächster Zeit den Krieg erklären wird, wie es sich dazu zu stellen gedenke und eventuell, welche Kräfte es abgeben könnte. Ich bitte, diesen Verhandlungen beigezogen zu werden, Metzger meint aber, dies sei bei den grundlegenden Fragen unmöglich; wenn konkrete Operationspläne in Frage kommen, werden sie ohnedies unsere Sache sein. Weiters erwähnt Metzger, ich brauche nun wegen der „Schützengrabengrenze“ nicht mehr in Sorge zu sein; der Chef habe mit Burián über diesen Punkt gesprochen, und die bestimmtesten Versicherungen bekommen, dass bei uns und in Deutschland niemand an eine solche Lösung denke. - Der Gedanke einer Offensive gegen Italien nimmt allmählich konkrete Formen an. Metzger beauftragt mich schon nach dem Mittagsrapport zusammenzustellen, welche Kräfte aus der Isonzofront für eine solche Offensive aus Tirol entnommen werden könnten. Ich fasse meine. Erwägungen in einem Referat zusammen, das ich abends vorlege und das in dem Schluss gipfelt, der Gesamtbedarf an neuen Kräften wäre jetzt mit 10 - 11 Divisionen zu veranschlagen. Als ich diese Geschichte vorlegen will, kommt gerade Chef in Metzgers Zimmer; er bleibt gleich da, und es entspinnt sich eine längere Diskussion über den eventuellen Italienkrieg. Chef schließt an die Ausführungen meiner früheren Referate an und kommt zum Schluss, dass er entsprechend der notwendigen Kräfte von 10 - 11 Divisionen von den Deutschen als Minimum 8 Divisionen fordern müsse, die uns auf dem russischen Kriegsschauplatz ablösen würden. Er hält es für unwahrscheinlich, dass wir die-Italiener überraschen können und hat darin auch sicher Recht, da ja die Operation einer 5wöchigen Vorbereitung bedarf, wenn diese komplizierten Ablösungen bewerkstelligt werden sollen. Weiters bespricht er, Hauptmöglichkeiten: 1) dass die Italiener rechtzeitig Kräfte heranbringen, um in ihrer jetzigen vordersten Linie Widerstand zu leisten, 2) dass sie diesen Widerstand in einer rückwärtigen Stellung näher den Bahnen suchen. Ich habe übrigens das Gefühl, dass er die Schwierigkeiten des rechtzeitigen Erkennens der Operation seitens des Feindes und die Schwierigkeit rascher und radikaler Gegenmaßnahmen doch etwas unterschätzt; es ist jedoch besser, die Sache ernster als zu leicht zu nehmen, - Auch an ein Heranziehen von Kräften aus Serbien wird gedacht. Metzger bemerkt, die serbische Operation dürfte aber erst Ende Jänner beendet sein. Als Grundbedingung wird von Beiden hingestellt, dass die russische Front fest bleiben muss. Weiters gelangen noch der Artillerieaufmarsch, Munitionsversorgung, Trains u.s.w. zur Besprechung. Metzger steht da auf dem vernünftigen Standpunkt, wenn wir erst die Truppen haben, geht alles. So war es auch noch immer in diesem Kriege. - Die entscheidenden Frage ist wohl, ob die Deutschen überhaupt mit dem Herz bei der Sache sein werden, sein können. Metzger erwähnt heute auch, dass sie Belgien keinesfalls behalten wollen, dass sie überhaupt gegen eine zu große Vergrößerung ihres Reiches seien, und es ihnen daher wahrscheinlich gar nicht genehm sein könnte, ein über seine Kräfte weit hinaus wachsendes Österreich-Ungarn (mit halb Polen, halb Serbien und jetzt noch einem Stück Italiens) entstehen zu lassen. Vom strategischen Standpunkt ist die Frage, ob jetzt ein großer Krieg gegen Italien begonnen werden soll, für Deutschland etwa so zu stellen: Ändert ein Sieg Österreich-Ungarns über Italien, der günstigenfalls zum Frieden und zur Ausschaltung einer Macht des Vierverbandes führt; die Weltlage so und ist dieser Sieg derart gewiss, dass die einzigen freien Kräfte nun festgelegt und damit R und F. eine gewisse Aktionsfreiheit gegeben werden soll? Für einen Schlag spricht wohl die Wahrscheinlichkeit, dass Italien im Frühjahr ein sehr unangenehmer Gegner sein dürfte, der vermutlich noch stärkere Kräfte der Monarchie als gegenwärtig binden kann, dass ein Sieg an dieser Front Österreich-Ungarn wieder elektrisieren würde und dass wohl 200.000 gute Feuergewehre frei werden könnten. Möglicherweise würde man übrigens durch die Friedensbedingungen imstande sein, die Einsicht der Entente, dass der Kampf nun doch nutzlos geworden sei, zu beschleunigen. - Jedenfalls kommt jetzt eine bewegte Zeit; mit dem Weihnachtsurlaub dürfte es nichts werden. - Nach der Abendmeldung haben übrigens die Italiener ihre Angriffstätigkeit wieder aufgenommen; wenigstens die Südwestfront beurteilt die Lage so. Denn eigentlich ist nicht viel los; nur gegen den Görzer Brückenkopf scheint ein großer Angriff unmittelbar bevorzustehen.

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