Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
13.12.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
13.12.1915

Inspektion. Die letzte vor Weihnachten. Nach der Mittagsmeldung unten nichts Besonderes. Die italienische Tätigkeit in den Judicarien beginnt wieder. - Paić ist hier; er sieht besser aus denn je, scheint mir aber doch etwas gedrückt. Er will nun seinen neuen Posten beim Generalgouvernement Warschau antreten. - Nachmittags lese ich das Conradbuch flüchtig durch. Besonders aufreizend wirkt es, wenn hervorgehoben wird, dass Conrad jede Gelegenheit ausnütze, um an die Front zu kommen, und wenn jener Ausspruch zitiert wird, den er getan haben soll, als er ins Feuer kam: „Das habe ich Euch verschaffen wollen; denn man muss selbst im Feuer gewesen sein, um zu wissen, was es heißt, im Feuer angreifen.“ Die beiden Adjutanten sind überall ganz besonders hervorgehoben. -

Ein recht interessantes Kalkül liegt über die Auswertung der männlichen Bevölkerung Russlands für die Wehrmacht vor.

 

 Verwendung

 Männer

 Prozent der  Bevölkerung

 Männer

 Prozent der   Bevölkerung

           Deutschland

          Österreich-Ungarn

 Mobilisierte  Armee 1914

 3,900.000

 2,43

 2,500.000

 4.80

 Bis Ende Oktober  1915 eingereihter  Ersatz

 6,400.000

 4,00

 2,900.000

 5,57

 Bis Ende Oktober  verwertetes   Menschenmaterial

 10,300.000

 6,43

 5,400.000

 10,37

 Äußerste  Beanspruchung des  Staates (berechnet  nach unseren  Verhältnissen)

 22,400.000

 14

 7,280.000

 14

 Daher noch  verfügbar

 12,100.000

 7,57

 1,880.000

 3,63

 Reicht für Turnusse  von monatlichem  Ersatz

 24

 

 9

 

 

 

Nach dem Kalkül der Nachrichten Abteilung reicht das gegenwärtige Material Russlands bis Ende 1916; bei Verlängerung der Wehrpflicht (17jährige, dann 46 - 50jährige) aus Nachmusterungen müsste das Material für weitere 10 Turnusse ergeben. Ob in Russland eine ebenso intensive Ausnützung des Menschenmateriales möglich ist, wie bei uns ist (dies nach den Ausführungen Schneiders) zweifelhaft. Immerhin aber muss damit gerechnet werden, dass es Russland wesentlich länger (bei gleicher Inanspruchnahme der Armee, oder über 1 Jahr) möglich ist, ausgiebige regelmäßige Ersatze für die Feldarmee bereitzustellen.

Dieses Verzeichnis, sagt Schneider weiter, zwingt in Hinkunft zu äußerster Sparsamkeit mit dem Menschenmaterial, wozu folgende Maßnahmen nötig sind:

a)         Bereithalten größter Mengen Munition, entscheidende Aktionen, damit das Artilleriefeuer die Infanterie möglichst entlasten kann;

b)         Beginn entscheidender Aktionen mit den „Feldbataillonen“ auf Kriegsstand, Zurückhalten aller Ausgebildeten Marschformationen zur Verfügung des AOK, Einsatz nur nach Notwendigkeit;

c)         intensivste Schulung der noch vorhandenen Leute,

d)         Aufklärung der Armeekommandanten und ihrer Generalstabschefs, eventuell auch anderer höherer Kommandos über diese Verhältnisse. -

Ich kann dazu nur sagen, dass alle diese Erwägungen sehr spät kommen.

Die letzten Aufzeichnungen des Chefs, vom 10.12. datiert, enthalten, in Schlagworten folgendes: Gegen Russland ist gewonnen, was angestrebt wurde; sollte sich aber die Lage so gestalten, dass eine Aktion gegen Russland zur erwünschten Kriegsentscheidung zu führen vermöchte, so ist diese Aktion in Podolien zu denken. Jede andere Aktion (Westen, Italien, Balkan) setzt voraus, dass eine russische Offensive verlässlich abgewiesen wird. Folgt Kräfteberechnung mit dem Ergebnis, dass im Frühjahr ein Überschuss von 50.000 Mann bestehen wird. Hierauf kurze Erwägungen über Aktionen in Frankreich und am Balkan (Bekämpfung der Entente Truppen, völlige Niederringung Serbiens und Montenegros und der zur Unterstützung dieser Staaten angreifenden Ententekräfte). - Italien: Erfolgreiche Offensive hat zwar nicht jene entscheidende Bedeutung wie eine solche in Frankreich, erscheint aber relativ leichter erreichbar; Ist Italien schwer getroffen; sodass es ausscheidet, dann wird entweder dieser Umstand die übrigen Ententemächte zum Nachgeben bringen oder es werden doch namhafte Kräfte frei, von unseren 300.000 Gewehren sicherlich 200.000 (50.000 Verluste, 50.000 zur Sicherheit zu belassen). Für Offensive gegen I. wären rund noch 80 -90.000 Gewehre erforderlich, die - da russische Front absolut halten muss - von anderer Seite beigestellt werden müssten. Kann Deutschland dies leisten? Kein direkter Einsatz, sondern Austauschweg. „Nach einer derart erfolgreichen Offensive gegen Italien könnten die frei werdenden Kräfte an irgendeiner anderen Stelle, natürlich auch gegen Frankreich, (diese Stelle ist bezeichnend! Siehe mein Sommerreferat!) eingesetzt werden, wenn dies die Situation gegen Russland und am Balkan zulässt.“ - Eine wesentlich andere Lage tritt ein, wenn Griechenland und Rumänien für oder gegen uns Stellung nimmt. Ersterenfalls Offensive gegen Russland mit Rumänien entscheidend; letzterenfalls Offensive gegen Italien solange ausgeschlossen, als Kräfte zur Bekämpfung Rumäniens gebunden wären. Bulgarien und Türkei müssten gegen Rumänien eingreifen; diplomatische Aktion muss sich gleichfalls auf diese Frage konzentrieren. - Im Großen und Ganzen: Ziemlich allgemeine Erörterungen ohne besondere Gründlichkeit. Interessant ist, dass der Gedanke einer Offensive gegen Italien sehr in den Vordergrund getreten ist.

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