Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
16.12.1915
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
16.12.1915

Heute Vormittag besucht mich Ratzenhofer nach seiner Rückkehr von der Südwestfront. Er hat sich speziell die Tiroler Strecke Bozen - Trient angesehen und sagt mir, das 2. Geleise Branzoll-Trient sei fertig und nur durch die großen eingeleisigen Objekte südlich Mezzocorona über die Etsch und bei Lavis über den Avisio unterbrochen. Die Ausladestationen seien sehr reichlich; sodass jedenfalls das ganze Transportquantum ohne Schwierigkeiten ausgeladen werden könne. Es empfehle sich nicht, viele Züge mit der Pustertalbahn zu bringen; jedenfalls müsse ein fixes Quantum für diese Bahn festgesetzt werden.

Weiters besprechen wir die zweckmäßigste Art der Befehlsgebung für den Fall eines solchen Aufmarsches: 1) Befehl an die Südwestfront, die zu verschiebenden Heereskörper im Einvernehmen mit den betroffenen Transportleitungen an die Bahn zu stellen. 2) Ausarbeitung (ich im Einvernehmen mit Ratzenhofer) der Verschiebung; Befehl an die Transportleitungen. 3) Befehl zur Versammlung des Durchbruchstaffels an Dankl, der sich mit der Transportleitung Innsbruck ins Einvernehmen zu setzen hat.

An der Front nicht viel Neues. In Tirol nunmehr stellenweise Artilleriekampf, ohne dass es in den Judicarien zu Infanteriegefecht gekommen wäre. Am Doberdòplateau wirkte die feindliche Artillerie gestern nachmittags mehr gegen die Räume hinter unserer Front. -

Über die Denkschrift Linsingens erfahre ich, dass sie zur Kenntnis genommen, dass aber Linsingen eröffnet wird, es seien jetzt keine Kräfte verfügbar; die Denkschrift wird aber bei den Besprechungen mit der Deutschen Obersten Heeresleitung verwertet werden. - Abends lässt sich Metzger nochmals mein Referat geben. Er gibt mir die Note Falkenhayns zum Lesen und zeigt mir auch den Anfang des Entwurfes einer Antwort, vom Chef selbst geschrieben. Bei aufmerksamem, ruhigen Lesen der Note gewinne ich den Eindruck, dass sie nicht so unbedingt ablehnend ist, wie sie im ersten Augenblick scheinen mag. Falkenhayn betont nur mit sichtlicher Übertreibung die Schwierigkeiten einer solchen Operation. (25 Divisionen, 50 km Frontbreite des Durchstoßes, auf 150 m eine. Batterie u.s.w.); vielleicht aus dem Grunde, um die Sache dann doch, aber teilweise mit deutschen Truppen und unter deutschem Führer zu machen. Sage diese Auffassung auch Metzger, der sie teilt und meiner Ansicht, deshalb solle die Sache nicht aufgegeben werden, beipflichtet. Hiebei komme ich auch auf den Oberbefehl des Erzherzogs Eugen, über die entscheidende Operation zurück; auch damit scheint Metzger einverstanden. - Das Interessante aus der Antwort des Chefs ist, dass darin ausdrücklich angeführt wird, Falkenhayn habe in der Unterredung die Bedingungen für eine erfolgreiche Offensive in Frankreich als jetzt für nicht gegeben bezeichnet. Ich sage Metzger, dass mir besonders das Wort jetzt auffällt. Er erzählt, beide Chefs hätten eingehend über das Maß eines für die Kriegsentscheidung ausschlaggebenden Erfolges in Frankreich gesprochen und seien zu dem Schluss gekommen, entweder müsse Paris genommen oder aber irgendwo ein Erfolg erzielt werden, der ein erhebliches Zurücknehmen der ganzen französischen Front bewirke. Einen solchen Erfolg hält Falkenhayn aber für nirgends möglich; weder in Flandern, noch in der Mitte, noch in den Vogesen. Wenn man dies festhält, ist es eigentlich nicht recht verständlich, was Falkenhayn mit dem Schluss seiner Zuschrift, dass er sich über. das „wo“ der Verwendung der frei werdenden deutschen Kräfte noch nicht entschlossen habe, meint. Conrad wollte in seiner Antwort nach neuerlicher Aufzählung der Unmöglichkeit anderer Druckstellen damit schließen, dass er etwa sagt, wenn für die Herbeiführung eines Erfolges gegen Italien keine deutschen Kräfte verfügbar gemacht werden können, so müsse er von einer weiteren Verfolgung dieser Frage absehen. Metzger jedoch will - und er scheint den Chef schon dafür gewonnen zu haben - sehr richtigerweise nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, sondern vielmehr zuerst die wegen der Schwierigkeiten der italienischen Operation vorgebrachten Bedenken Punkt für Punkt entkräften. Das Wesentliche der Ansicht Conrads ist, dass er ein aktives Vorgehen irgendwo vor der zu erwartenden Frühjahrsoffensive der Entente für nötig hält. Zunächst soll, wie Metzger weiter sagt, der Balkanfeldzug in Montenegro und Nordalbanien abgeschlossen werden; dann könne man „das Weitere auf dem Balkan“ den Bulgaren überlassen und die deutschen sowie unsere Kräfte frei bekommen. Wie ich weiteren Äußerungen Metzgers entnehme, denkt man, dass die Sache etwa im März aktuell werden könnte. – Aus alldem zeigt sich, dass die italienische Offensive noch keineswegs aufgegeben ist; gegen die Logik, dass hier am ehesten etwas zu machen sei, lässt sich eben nicht ankämpfen. - Würde natürlich die Note an Falkenhayn, was den italienischen Teil betrifft, selbst gerne redigieren, konnte aber das nicht vorschlagen, da Slamecka zugegen war.

Abendmeldung: Ein Angriff eines Alpinibataillons auf den Col di Lana unter schweren Verlusten abgewiesen, ein neuer Angriff wird erwartet. (Das LVK erwartet die Angriffe gewöhnlich dort, wo sie nicht kommen!) Heute früh wurde ein vereinzelter Angriffsversuch gegen unsere Stellung am Nordhang des M.S.Michele im Keim erstickt.

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