Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
10.01.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
10.1.1916

Vormittag sagte. mir Kageneck über die Verhältnisse bei Saloniki, die Entente habe dort etwa 250.000 Mann. Der Angriff sei für Ende Jänner beabsichtigt. - Mittags nahm ich Einsicht in die Meldung über die Ereignisse an der montenegrinischen Front. Ich habe den Eindruck, dass es gegen den Lovčen hart geht. Gleichwohl hat die Ausdauer unserer Truppen und eine vorzügliche Artillerieunterstützung viel erreicht. Nach der Meldung leisteten die Montenegriner hartnäckigen Widerstand; Dieser dürfte sich, wo es die Eroberung des Lovčen selbst gilt, noch steigern, ja vielleicht eigentlich erst beginnen. Von Mirać aus geht es langsam, in der Župa, oder besser in der Richtung Budna flott vorwärts. An den übrigen Punkten scheint es recht langsam zu gehen, wie es im Winter auch zu erwarten ist. - Berane ist noch nicht in unseren Händen. Vom Grundstandpunkt betrachtet, ist es sehr misslich, wenn unsererseits immerhin bedeutende Kräfte da drunten festgelegt sind; weit von jeder leistungsfähigen Bahn und unter erheblichen Versorgungsschwierigkeiten. Es bliebe daher noch das Beste, wenn Nikita die Waffen streckt, das heißt einen Separatfrieden anbietet, wie ihn Tisza vor Augen hat, damit uns die langwierige Okkupation erspart bleibt, von der Annexion gar nicht zu reden.

Über den Ministerrat bisher nichts erfahren. Ich vermute, dass Conrad dort erklärt haben wird, die Aktion gegen Montenegro sei schon im Gange, man müsse daher deren Erfolg abwarten, bevor man weiter spricht.

Unsere „Russen“ erwarten fortgesetzt einen großen Angriff; dies erzeugt auch schon die gewohnte gereizte Stimmung samt Debatten, denen ich aber grundsätzlich fern bleibe: Namentlich Bálványi glaubt, der Feind würde seine Front gegenüber den Deutschen stark entblößen und dürfte auf diese Weise „irgendwo“ 20 neue Divisionen gegen uns in die Schlacht bringen. - Von Falkenhayn soll auch ein Telegramm (seit längerer Zeit sein erstes Lebenszeichen) da sein, das die russische Sache betrifft. - Wie ich abends lese, handelt es sich um einen Vorschlag Falkenhayns, eine Entlastung der Strypafront durch eine Offensive der Heeresgruppe Linsingens aus dem Raume der 4. Armee herbeizuführen. Dieser Stoß wurde von Linsingen schon anfangs Dezember vorgeschlagen, allerdings mit dem - auch heute noch festgehaltenen - Vorbehalt, dass Frostwetter eintrete. Leider aber herrscht nicht Frost, sondern Tauwetter, richtiges Sauwetter, das in jenen Gebieten Bewegungen größerer Massen ausschließt. Falkenhayn wünscht im Falle der Zustimmung, dass Conrad gleich an Linsingen die nötigen Direktiven erteile; Conrad lehnt jedoch ab. - Aus dem Vorschlag Falkenhayns ist nicht ersichtlich, dass die deutsche Heeresleitung zu dieser Aktion neue Kräfte beistellen würde. Psychologisch interessant ist es, dass nun wir von einer Offensive, vom „Gasdampf“ abraten.

Die Operationen im Bocche Gebiet schreiten weiter gut vorwärts. Unsere Truppen haben sich auf den Vorbergen des Lovćen, etwa 400 m unter dem Gipfel festgesetzt; damit ist die Sache gemacht. Es liegen sogar Nachrichten von allgemein rückgängigen Bewegungen der Montenegriner vor. - Dieser Erfolg ist, das muss ich gestehen, unbegreiflich; er ist aber auch nur dadurch möglich, dass der Feind eben schon „fertig“ ist: Jedenfalls fehlt es vollständig an Munition und Verpflegung wie unsere Nachrichten auch schon seit längerem besagen.

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