Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
18.01.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
18.1.1916

In Montenegro ist der Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten beiderseits erteilt, die Waffenstreckung in Durchführung. Dem schlauesten aller Füchse, dem alten Nikita ist es also doch gelungen, sein Land und seinen Thron zu retten; er ist dadurch der Größte der Ententediplomaten. - Aus einem Telegramm Sonnino - Carlotti in Petersburg vom 14/1 4hvm. ist die Aufregung ersichtlich, die die Eroberung des Lovčen in serbischen Regierungskreisen hervorgerufen hat. Pašić sieht darin eine unmittelbare Bedrohung Scutaris und beharrt auf der sofortigen Entsendung stärkerer Kräfte nach Durazzo und Singjin. Das serbische Heer, ohne Munition, ist unfähig zu einem ernsten Widerstand. Die Ententegesandten am serbischen Hof beurteilten die Lage als äußerst schwierig und glauben darauf beharren zu müssen, dass die Anordnungen für die sofortige Einschiffung des serbischen Heeres ohne Verzögerung zu erteilen seien.

Nach I - Mittagsmeldung nichts Besonderes. Das Wichtigste: Nach Gefangenenaussagen werden weitere Urlaube erteilt. Die Pause in den großen Operationen dürfte also andauern. Dies stimmt ja, auch mit dem gestrigen Kalkül über die Ergänzung des italienischen Heeres. Lebhaftere Artillerietätigkeit an der Dolomitenfront; vielleicht die Einleitung zu einer Unternehmung in Südtirol? An der küstenländischen Front stärkeres Feuer und kleinere Unternehmungen gegen den Tolmeiner Brückenkopf, dann gegen den Nordhang des M.S.Michele. Im Golf von Triest griffen gestern italienische Torpedoboote unsere Minensicherungstruppe an; sie zogen sich nach einem auf 1500 m geführten Feuergefecht zurück, als unsere Landbatterien angriffen.

In der B-Gruppe sehr intensive Tätigkeit. Habe Inspektion, und höre, dass Chef gegen 5 Uhr hereinkommt, um das Referat über den Friedensvertrag und die Militärkonvention mit Montenegro entgegenzunehmen. Slamecka ist in Wien und vertritt dort die Auffassung des AOK, dass Montenegro (da es schon einmal überhaupt weiterbestehen soll) in ein Bündnisverhältnis zur Monarchie trete und zu einer weitgehenden Militärkonvention gezwungen wird. Die Diplomaten wollen dem Königreich seine staatliche Selbständigkeit lassen. Habe leider die Akten nicht gesehen, sondern weiß dies nur vom Hörensagen. Bei meiner Inspektion sehe ich folgendes über die montenegrinische Sache: Am 17. schrieb der Chef an Burián und die Militärkanzlei in folgendem Sinne: Er erblickt nach wie vor in der vollen Einverleibung Montenegros in die Monarchie eine auch für die Zukunft gedeihliche, also mit schweren Opfern im Einklang stehende Lösung. Nur im Falle unüberwindlicher Schwierigkeiten gegen diese Lösung käme ein Weiterbestehen eines engbegrenzten Montenegro in Frage. Die gestellten Bedingungen sind eine äußerste, besser zu vermeidende Grenze. Ein Ähnliches, von der Küste gänzlich abgeschnittenes und noch viel kleineres Montenegro war vor 1876 eine existente Gefahr für die Türkei. Es wäre unverantwortlich, der Monarchie eine solche Pestbeule am Leibe zu lassen, nachdem eben erreicht wurde, was noch nie gelang, die militärische Niederwerfung Montenegros. Das Volk ist für eine Annexion gefügig, die Dynastie mit ihrer verzweigten Verwandtschaft und ihrer Doppelzüngigkeit eine stete Gefahr für uns; durch die Annexion würden auch alle territorialen und militärischen Fragen, sowie jene unseres Verhältnisses zu Albanien und Rascien am einfachsten gelöst. Das andere Arrangement wäre nur eine notgedrungene Lösung. Streng vertraulich teilt Chef noch mit, dass die Fortführung der Operationen nach Nordalbanien unser nächstes Ziel ist. - Slamecka wurde weiters am 17. darauf aufmerksam gemacht, dass Verhandlungen erst bei tatsächlicher Waffenstreckung beginnen sollen. - Die Idee einer Einverleibung von Montenegro wurde vom M. des Äußern abgelehnt. Auf das hin schrieb Conrad am 18. erneut an Burián: Die territorialen Grenzen Montenegros müssten enger gezogen werden, wenn ein selbständiges Montenegro weiterbestehen soll, und zwar von der Nordwestspitze des Scutarisees nach Podbopa und von hier nach Gorjansko. Die Hauptstadt wäre dann nach Podgarica zu verlegen. Die Militärkonvention muss gleichzeitig mit den Friedensbestimmungen zur Ratifikation gelangen. Grundzüge derselben: Das gesamte Kriegswesen Montenegros untersteht der österreichisch - ungarischen Heeresleitung, welcher auch alle Kriegsvorbereitungsmaßnahmen zustehen. Jede andere Lösung würde eine Gefahr in sich schließen; überdies ist diese Forderung umso berechtigter, als ja die Monarchie den Schutz Montenegros und seiner Integrität auf sich nimmt. - Slamecka meldete am 17. über Standpunkt des Ministeriums des Äußern: Annexion ausgeschlossen; Albanien selbständiger Staat - noch nicht geklärt. Von einem geknebelten Montenegro will Burián nichts wissen, um seine Empfindlichkeit zu schonen und einen Freund für uns zu schaffen. Montenegro soll souverän bleiben, jedoch auswärtige Vertretungen nur durch uns. In territorialer Hinsicht unbedingt ganzen Küstenbesitz, sonst aber das wegnehmen, was wir vom militärischen Standpunkt unbedingt brauchen, und was wir Montenegro nicht lassen müssen, damit es leben kann. Burián bittet um Zugeständnis des Raumes von Virpazar und Ljubotić, Plav und Gusinje, Andrijevica: Er will Montenegro auf das Gebiet des Berliner Vertrages, jedoch ohne Küste und ohne die für uns militärisch unerlässlichen Abtretungen reduzieren.

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