Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.02.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.2.1916

Heute um ¼ 11 Uhr findet die Besprechung über die I-Sache in Pleß statt. Beim Frühstück sagt mir Metzger, Cramon habe ihm gestern mitgeteilt, dass eine ganze Armee Limans mit 10 türkischen Divisionen uns zur Verfügung stehen würde. Metzger beabsichtigt 8 Divisionen an die russische Front zu stellen, 2 zu Ablösungen an die Isonzofront zu geben. Christophori, der auch dabei ist, hegt gleich die schwersten Bedenken; er meint, die Türken würden auf die Russen wie ein rotes Tuch wirken und die türkischen Divisionen seien nur ½ soviel wert wie unsere. Metzger meint darauf sehr richtig, es genüge auch für die 8 türkischen Divisionen 4 von uns herauszubekommen. Christophori schimpft übrigens auch über die Offensive aus Südtirol und meint, er würde sie über den Isonzo führen. - Vormittag lässt mich Cramon rufen; er sagt mir, er habe die Disposition für die I-Sache günstiger gefunden als er glaubte, habe den Boden vorbereitet und könne schon jetzt sagen, dass uns eine sehr starke türkische Armee zur Verfügung stehen werde. Ich glaube nach alldem, dass nun die I-Sache ins Rollen kommt. - Glaise stöberte heute Notizen Metzgers über die Konferenz in Wien auf. Aus diesen geht hervor, dass Tisza nach wie vor darauf beharrt, kein Gebiet auf dem Balkan zu erwerben, ausgenommen die strategisch notwendigen Brückenköpfe. Burián, die österreichische Regierung und auch der Kaiser seien jedoch bereits für die Ideen Conrads möglichst viel Gebiet auf dem Balkan einzuverleiben, gewonnen. Es scheint darnach, dass Tisza zu wackeln beginnt. Ich würde dies für eine große Gefahr, wenn nicht für eine Katastrophe für die Monarchie halten. Der einzige wirklich große und weitschauende Mann, der sich in Krieg und Frieden bewährt, der uns aus dem Dreck gezogen hat. Und worauf will man hinaus? Auf den Trialismus? Will man die kaum beseitigte südslawische Gefahr im Inneren der Monarchie wieder aufrichten? Bei uns gibt es leider Herren, die fortwährend hetzen, ohne zur Politik überhaupt nur gerochen zu haben.

Vormittags arbeite ich an der Vorbereitung der Befehle. Metzger kommt gegen 2 Uhr n. m. zurück und sagt mir zunächst, er werde mit mir erst abends sprechen; jetzt müsste er sich noch allzuviel ärgern. Zu verfügen wird vorläufig nichts sein ausser einem lässigen Beginn der Materialvorbereitungen. - Nachmittags orientiert mich General folgendermaßen: Falkenhayn ist entschlossen, im Februar noch „eine große Sache“ in Frankreich zu machen. Über den Raum dieses Angriffes, den näheren Zeitpunkt, die Kräfte und den Umfang der ganzen Aktion konnten der Chef und Metzger keine Klarheit gewinnen; Falkenhayn sagt das nicht. - Die Salonikioperation wird gemacht. (p.d. ich glaube es noch nicht!). Möglicherweise werden die Deutschen für die Operationen in Frankreich auch noch die 2 Divisionen (1. und 21.) Linsingens brauchen; doch ist dies noch keineswegs ausgemacht. (p. d. Ich glaube aber ganz bestimmt daran). Die Türken stehen schon jetzt zur Verfügung; die erste Division kann eigentlich sofort zu rollen beginnen. Nur ist die Leistungsfähigkeit der Bahn eine geringe; im Ganzen etwa 12 Züge, wobei noch zu berücksichtigen ist, dass auch Saloniki an dieser Bahn hängt. Falkenhayn hat heute bereits an Enver telegraphiert 1) um den Kalkül über den Abtransport der Türken, 2) um die von den Türken gewünschte Verwendung. - Unter diesen Verhältnissen, sagt Metzger, ist nun von unserem Chef Folgendes beabsichtigt: Herausziehen der 4 Balkandivisionen, wie schon angeordnet. Sie dürften in etwa 2 Wochen an der Bahn stehen und können dann je nach Notwendigkeit auf den russischen oder den italienischen Kriegsschauplatz gezogen werden. Man müsse nämlich damit rechnen (auch Falkenhayn tut dies) dass die Franzosen und Engländer von den Russen einen neuerlichen Angriff verlangen werden, sobald die deutsche Offensive in Frankreich losgeht. Ebenso muss man auch mit einem früheren Angehen der Italiener rechnen. Was Italien betrifft, ist der Chef fest entschlossen, anzugreifen. Die Materialvorbereitungen hätten daher sogleich zu beginnen. Ich weise daraufhin, dass diese Vorbereitungen in dem beabsichtigten flotten Tempo zu geschehen hätten; könnte dann der Truppenaufmarsch nicht rechtzeitig erfolgen, so müsste eben eine Pause eintreten. Für alle Fälle aber sei es besser, das Material bald in Tirol zu haben. General sagt, er werde auch Pflug dementsprechend anweisen. Ich sage, ich hätte bereits einen Befehl an die Südwestfront vorbereitet; er wünscht ihn zu sehen, und findet ihn mit geringen Abweichungen auch auf die jetzige Lage anwendbar. Demgemäß arbeiten wir nun weiter. Die Verwendung der Türken scheint sich Metzger vorerst so zu denken, dass beiläufig die Hälfte an die Südwestfront, die andere Hälfte auf den russischen Schauplatz kommt. - Die Deutschen haben zur Ablenkung der Aufmerksamkeit von der französischen Front via Schweden eine Nachricht lanciert, die bereits an verschiedenen Stellen, so auch in einer Depesche Sonninos an Carlotti (Petersburg) auftaucht: „Der Deutsche Generalstab bereite einen starken Angriff gegen uns (Italien) oder auch gegen die Franzosen vor, wahrscheinlich aber gegen uns. Die gegenwärtige deutsche Frontsperre soll eben darauf abzielen, dies geheim zu halten. Es könne nicht gesagt werden, ob der Angriff gegen Italien in den Alpen, auf Valona oder auch auf beiden Stellen gleichzeitig stattfinden würde und ob die deutschen Truppen daran teilnehmen werden.“(! Sehr nett!) Aus der italienischen diplomatischen Korrespondenz ist eine merkwürdige Frage des japanischen Botschafters an Italien zu entnehmen: welche Haltung es dem englisch-französischen Vorschlag gegenüber einnehmen wird, dass die verbündeten Mächte erklären sollen, Belgien (!) seinerzeit an den Friedensverhandlungen teilnehmen zu lassen; weiters, dass kein Friede angenommen werde, in welchem Belgien nicht die volle Unabhängigkeit gewährt und es für die Verluste nicht schadlos gehalten werde, sodass ihm die politische und wirtschaftliche Zukunft sichergestellt sei. (Merkwürdig ist das Interesse Japans an Belgien! Will dies vielleicht ein Vorbote einer Teilnahme Japans am europäischen Kriege sein??). Bei der Nachtinspektion feile ich an den Befehlen (Direktiven für die Südwestfront, Mission Ziller, Geheimhaltung vor dem deutschen Verbindungsoffizier) und schreibe die ganze Geschichte ins Reine. Dauert bis ½ 1 Uhr; dann mieser Schlaf in der Stinkluft des R-Zimmers.

Auf den anderen Kriegsschauplätzen ist nichts Besonderes los. In Albanien traten unsere Truppen gestern zum ersten Mal mit Italienern in Berührung. Das betreffende Aufklärungsdetachement von uns ging zurück. An die Albanesen wird eine Proklamation erlassen, die zum Kampf gegen alle unsere Feinde auffordert.

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