Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
12.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
12.6.1916

Schon nach Mitternacht, also ist das Datum richtig. Ich muss aber noch einiges vermerken. Über Menschen. Da ich Buzek eine Meldung gebe, ich glaube die Etablierung eines russischen Korpskommandos in Okna, und ich frage, ob er das schon wisse, meint er, was sei das gegenüber den anderen Sachen. Die Situation sei äußerst böse. Die 7. Armee wäre zerschlagen. Und ich frage, was die Schuld daran sei? Er meint, die Russen wären doch überlegen gewesen, weil sie hinter der Front Marschformationen in gleicher Stärke gehabt hätten und auch an schwerer Artillerie habe es bei uns gefehlt. (p.d.: Die hat der italienische Krieg gefressen) Oh dass niemand die wahren Ursachen begreifen will: Winterschlaf, Weiber, Jagd, Konzerte, kurz unsere ganze Wirtschaft, mit der man einen Krieg nicht gewinnen kann, und doch gewinnen wir ihn, weil der große deutsche Bruder kommt. So sagt mir auch Major Fleck recht zuversichtlich, nun sei alles gut, weil doch ein Ziel bestehe. Wenn auch die Offensive erst in einigen Tagen wirksam werde, ein Ziel sei die Hauptsache. Und der Mann hat Recht.

Conrad hat wieder etwas über die Lage „nach erfolgtem Schlag am 12." geschrieben. Er glaubt, dass dann zum Halten 6

Divisionen erforderlich sein werden und daher 4 übrig bleiben, (9., 34., 43., 10.) die er abtransportieren will. Bei durchschlagendem Erfolg, glaubt er, würden 8 Divisionen genügen und 2 für die Isonzofront bestimmt werden. Diese 8 Divisionen dürften etwa 14 italienische binden. - Was der Arme sich nur über solche Dinge den Kopf zerbricht! Der morgige Tag, jeder Tag kann die Lage ganz ändern! Vorläufig haben wir genug mit dem Abtransport einer Division - der dauert bis gegen den 20.! Falkenhayn geht, wie in einem Telegramm von gestern, offenbar abends, unterdem scharf ins Zeug. Er nimmt zur Kenntnis, dass die 1. Armee der Heeresgruppe Linsingen unterstellt wird. Der Zuführung der nächsten Staffel deutscher Truppen über Lemberg - Stojanów wird er zustimme, wenn sie dann noch erforderlich sein sollte. Gegen Unterstellung der Südarmee unter General Böhm-Ermolli hat er Bedenken, weil der beabsichtigte Gegenstoß, wenn er an der unteren Strypa geführt werden soll, nur aus der Front der Südarmee angesetzt werden kann, während gleichzeitig Armee Böhm-Ermolli gezwungen sein kann, mit der Heeresgruppe Linsingen zusammen zu wirken. In diesem Falle würde Böhm sicher wenig geneigt sein, Truppen für die Stoßgruppe Bothmer abzugeben, wenn dies nicht von der Obersten Heeresleitung angeordnet wird. Dass Conrad nicht irgend eine Form gefunden hat, um die Verwendung des Generals Seeckt in einer ausschlaggebenden Stellung bei der 7. Armee zu ermöglichen, beklagt Falkenhayn im allgemeinen Interesse. Trotzdem setzt er die 105.ID. aus Mazedonien vorläufig in der Richtung auf die Bukowina in Marsch, um die notwendige Hilfe nicht zu verzögern; aber auch in der Voraussetzung, dass doch ein Weg gefunden wird, um den deutschen Einfluss auf die Operationen zu wahren, in denen deutsche Truppen in solcher Stärke verwendet werden. „Nach den früher gemachten Erfahrungen halte ich dies für erforderlich." - Wir sind nun zweifellos ganz in der Hand der Deutschen. Christophori fragt mich, was da zu tun sei. Ich sage offen meine Ansicht: Ohne Sentimentalitäten und Rücksichten auf Personen der Sache jedes Opfer bringen, das der Erfolg fordert. Das heißt auf Deutsch: Weg mit Pflanzer und Zeynek, die um nichts besser führten als andere, die schon vom Schicksal ereilt wurden. Christophori zeigt mir auch die Situation am 4. dieses Monates: Schon da finde ich bei der 7. Armee die Verbände zerrissen und an der ganzen Front befindet sich nicht eine Reserve des AOK. außerhalb des unmittelbaren Bereiches der vorauszusehenden Ereignisse (das heißt zum Beispiel bei Lemberg, wo man bei guter Leitung mehrere Korps hätte haben können). Kurz, ich will es hier noch einmal festhalten: An der ganzen Sache ist in erster Linie das AOK. Schuld, das es an jeder größeren Einflussnahme auf die eigene Situation fehlen ließ und einen derartigen Winterschlaf in der „Dauerstellung" (schon dieses Wort ist ein Unsinn und schließt bei uns den Begriff Capua ein) duldete. Nachts sprach ich noch mit Bálványi, bevor er schlafen ging, so um 2 Uhr früh. Er gab zu, dass das Märchen von der plötzlichen doppelten Überlegenheit der Russen (infolge seiner Marschformationen) eine Erfindung neuestens Datums ist, dass unsere Front stark genug war, dass es aber an jeder Überlegung, Beherzigung von Anregungen u.s.w. gemangelt hat. Ich kenne die Wahrheit genau und werde mich gegen die Beschuldigung zu rechtfertigen wissen, dass meine Kalküls verfehlt die italienische Offensive ein Verbrechen war u.s.w. Nach den von uns aufgefangenen diplomatischen Radios liegt übrigens der Kriegsplan der Entente ziemlich klar zu Tage: Zuerst wollten die Westmächte (Frankreich, England, Italien) die Deutschen und uns durch ihre Angriffe möglichst schwächen und ermüden, dann aber sollte der Russenangriff im Osten die Entscheidung bringen. Dieser Angriff ist nun durch unsere Offensive gegen Italien beschleunigt worden. Die Reise Kitcheners stand mit ihm in Zusammenhang.

Früh schon, um 7 Uhr, erfuhr ich auf meine Frage in Trient, dass die Artillerievorbereitung beim VIII. und XX. Korps begonnen hat. Näheres enthielt die Mittagsmeldung auch nicht, kann es auch nicht enthalten. Die 3. Armee tut vorläufig bloß durch Feuerunterstützung mit; sie soll, wie ich unter der Hand erfrage, am 15., eventuell aber auch früher beginnen. - Mittags sagt mir Christophori, dass Seeckt Generalstabschef bei der 7. Armee wird; Zeynek bleibt jedoch vorerst. Und morgen kommt Questenberg, das heißt Marterer… Der war schon lange nicht da; seit den ersten Tagen in Neu Sandez anno 1914.

Ich glaube aber nicht, dass es Conrad schon am Kragen geht; immerhin dürfte eine sehr ernste Aufforderung vom Deutschen Kaiser an unseren gegangen sein, hier Ordnung zu machen. Die Deutschen werden sich jedenfalls freie Hand erwirkt haben, und das ist auch das einzige Mittel, aus der jetzigen Schlamastik heraus zu kommen. - Erst um Mitternacht komme ich dazu, diese bald nach der Mittagsstunde gemachten Aufzeichnungen fortzusetzen. Trotz des Inspektionskaters und der alltäglichen Müdigkeit konnte ich nicht einschlafen, ohne noch einiges von diesem interessanten Tag festgehalten zu haben. Heute brodelte es hier, wie selten noch: Offenbar handelte es sich um Feststellung des Operationsplanes gegen Russland und wohl auch um Einwirkung auf Rumänien. Cramon wiederholt bei Metzger und Chef. Wie ich höre, soll sich Cramon schon in den ersten Tagen der Krise sehr für deutsche Hilfe eingesetzt haben. Nun, vorläufig kommen, wie ich höre, insgesamt 7 deutsche Divisionen für den Angriff bei Luck in Betracht. Mehrere Divisionen sollen auch die 7. Armee verstärken. Zeynek geht; das heißt vorläufig auf Urlaub. Christo hat Metzger, so höre ich, von der Notwendigkeit, dem deutschen Drang nachzugeben überzeugt; hierauf erhielten Pflanzer ein für ihn und Zeynek sehr schmeichelhaftes Telegramm, dass das Eintreffen Seckts als nicht zu umgehen ankündigt. Daraufhin entschloss sich Zeynek eben auf Urlaub zu gehen; natürlich nach Übergabe.

Auf dem italienischen Kriegsschauplatz blieb leider der erwartete große Erfolg heute aus. Daran ist einzig und allein, so scheint es, das Wetter Schuld; in der Früh ausheiternd, dann aber Nebel und Wolkenbänke, die die Sicht und Artilleriewirkung hinderten. Musste heute wiederholt auf rasche und eingehende Situationsmeldungen hinarbeiten; nun scheint alles aufgeweckt zu sein. Die Abendmitteilung Günstes gibt die Lage am besten wieder. Werde sie morgen noch vermerken. - Kundmann erzählt abends Kless, der Chef sei schon ziemlich nervös wegen Marterer; er fürchtet, dass dieser die Aufgabe der I-Sache verlangen werde. Vielleicht auf Betreiben des Deutschen Kaisers und Falkenhayns. Als ich hierüber bei Metzger anklopfte, sagte er mir, Chef betrachte die Lage ganz ruhig und vor allem unter dem einzig möglichen Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Bahn, die ja ein gewisses Auslaufen erleichtere. - Also Günste teilte mit: Beabsichtigter Angriff XX auf Gipfel des M.Ciove wurde nicht durchgeführt, weil ungünstiges Wetter nur kürzeste Sicht ermöglichte, daher Artilleriewirkung selbst auf bekannte Ziele kaum durchführbar. Absicht für 13. nach intensivem Wirkungsschießen der gesamten hiezu verfügbaren Artillerie gegen die Spitze des M.Ciove. Angriff auf diese Kuppe, nur nächst anschließende Teile der feindlichen Stellungen werden artilleristisch niedergehalten. Für diese Aktion ist sichtiges Wetter unbedingt erforderlich. Tritt letzteres nicht ein, so muss die Aktion verschoben werden, da nicht nur die bekannten Artillerieziele, sondern auch die feindlichen Anmarschwege gesehen und die zu erwartenden feindlichen Gegenangriffe wahrgenommen werden müssen. Um die nötige Artilleriewirkung als Angriffsvorbereitung zu ermöglichen, wird während der Nacht die eigene Infanterielinie gegenüber dem M.Ciove etwas zurückgenommen. VIII. soll morgen den Angriff bis zur endgültigen Besitznahme der Höhe Mga.Xomo fortsetzen, worauf auch die übrige Front VIII. zum Angriff auf M.Alba vorgeht.

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