Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
20.06.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
20.6.1916

Auf lange Geschichte, die das Heeresgruppenkommando gestern erzählt hat, wird kurz geantwortet: „Mit Aufgabe der Posinalinie einverstanden. Geordnetes Zurückgehen, möglichst ohne Verlust von Gefangenen und Material, nach Gesamtlage besonders wichtig. Für dieses erste Ziel energische Einwirkung aller Kommandanten fordern. Nach Festsetzen in der gewählten, dauernd zu behauptenden Linie ist Ordnen der Verbände und Bereitstellen der starken Reserven Hauptsache. Linie im Detail, beabsichtigte Gruppierung der 3. und 11. Armee, sowie Situation der dem LVK. unterstehenden Kräfte in Spezialkarte melden. Sodann wird AOK. seine weiteren Entschlüsse fassen. Über Plan für Wegnahme des Pasubio und - fortlaufend - über dortige Schneeverhältnisse berichten." - Mittags erregte Debatte über das von uns beabsichtigte Zurückgehen. Schitler ist, wenn es geschieht, für das Friedenschließen. Vielleicht hat er ja Recht, aber nicht aus diesem Grunde. Übrigens will ich die Sache noch einmal überlegen und mir vom Herzen schreiben. Es wäre ja noch nicht zu spät, diesen Entschluss rückgängig zu machen, wenn sich die Lage wesentlich gebessert hätte. Ist aber die Abgabe stärkerer Kräfte auf den russischen Kriegsschauplatz vorauszusehen, so kann die bittere Pille nicht umgangen werden...

Mittags schon höre ich von einer „Chefkrise". Falkenhayn soll auf das letzte Telegramm des Chefs geantwortet haben, Conrad habe kein Recht, etwas zu fordern (bezieht sich auf die Bedingung, dass Mackensen nur dann den Oberbefehl erhält, wenn eine starke Armee kommt!) Hierauf eröffnete Conrad dem General Cramon, dass er auf dieses Telegramm nicht antworten werde. Abends höre ich von verschiedenen Seiten, man habe es auf „verschiedene Leute in der Umgebung des Chefs", und zwar Slameczka und Christophori abgesehen. Na, wir werden sehen! Abends verfasse ich ein kleines Referat zur Lage, das ich bei den anderen aufhebe. Spreche die Sache lange mit Metzger durch. Er betont immer wieder, dass unsere Lage furchtbar ernst sei. Wir haben ¼ Million Menschen verloren und haben bald keine mehr; es sei absolut keine Gewähr vorhanden, dass die Deutschen in nächster Zeit weitere Hilfe schicken, man muss daher mit allen Mitteln trachten, sich selbst zu helfen. Es könne ja noch anders kommen, viel Hoffnung gebe es aber nicht. Übrigens sprach Metzger die Sache nochmals mit dem Chef durch; auch dieser kommt jedoch zur Überzeugung, dass man bei dem gefassten Entschluss, so schmerzlich er sei, bleiben müsse. Wir können ja in unserer Lage nichts mehr riskieren. So ist denn der italienische Offensiv-Feldzug endgiltig begraben. Denn zu einer Wiederholung in irgendeiner Form lassen es die Deutschen nicht mehr kommen.

An der Front wenig Neues; stellenweise boxen die Italiener noch herum, unsere Lage ist aber sehr gefestigt. Nach einer Meldung der Heeresgruppe werden die rückgängigen Bewegungen am 24. abends beginnen und in 2 Phasen durchgeführt werden.

Wallenberg erzählte, Cramon sei eifrig bemüht, zu vermitteln. Die „Kardinaldiktatur" Mackensens stoße bei Conrad auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Deutscherseits sei man aber geneigt, einem populären Führer (Kövess?) mit Seeckt zuzustimmen.

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