Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
27.08.1916
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
27.8.1916

Über Rumänien noch immer keine Klarheit. Ronge sagte mir heute, die Mobilisierung sei seit Anfang des Monates in vollem Gange, die allmähliche Annahme der Aufmarschgruppierung deutlich sichtbar. Der italienische Gesandte in Bukarest telegraphiert am 18.: „Majorescu ist vom König Ferdinand empfangen worden und hat diesem erklärt, er sei der Anschauung, dass Rumänien in der Neutralität verharren müsse, wenigstens solange als die militärischen Ereignisse keine entscheidende Wendung zugunsten einer der beiden kriegführenden Gruppen nehmen. Er brachte seine Forderung nach Bildung eines Neutralitätskabinetts vor, dass die Verpflichtung hätte, die Leitung an Bratianu zu übergeben, wenn die Entwicklung des Krieges es nahelegen sollte, sich mit der Entente zu vereinigen. Selbstverständlich werde dieser Schritt keinen Einfluss auf die Situation ausüben können.“ Nach diesem letzten Satz scheint Italien wohl seiner Sache ganz sicher zu sein.

Bei der 5. Armee flaute die feindliche Artillerietätigkeit gestern abends ab; sie blieb seither in den normalen Grenzen. An der Fassaner Front wurden wieder einzelne feindliche Angriffe abgeschlagen.

Um 5 Uhr nachm. kommt ein überraschendes Telegramm Falkenhayns: „Wie ich soeben erfahre, hat Italien heute mittags Deutschland den Krieg erklärt.“ - Lag diese Sache auch schon lange in der Luft, so fragt man sich doch nach der näheren Veranlassung. In der Teilnahme italienischer Truppen an den Operationen Sarrails wird dies kaum allein zu suchen sein. Auch an einen plötzlichen Sieg der radikalen Kriegshetzer infolge des Erfolges von Görz mag ich nicht glauben. Eher dürfte England nun seine letzten Trümpfe ausgespielt haben - und zwar vielleicht wegen der Verhandlungen Deutschlands mit Russland und des Mitgehens Rumäniens, das vielleicht sogar diese Kriegserklärung als Bedingung für seine eigene gestellt haben kann. - Besondere Wirkungen verspreche ich mir von der Klärung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Italien in nächster Zeit nicht. Vielleicht werden, wenn wir wieder Verstärkungen brauchen, deutsche Kräfte anrollen. Wahrscheinlich wird die Deutsche Heeresleitung - im Zusammenhang mit ihren Bestrebungen nach gemeinsamem Oberbefehl - trachten, auch auf die Führung im Südwesten größeren Einfluss zu gewinnen. Geht der Weltkrieg gut aus, so werden wir nun mehr als früher auf deutsche Unterstützung und Sympathie rechnen können, wenn wir unten reinen Tisch machen. - Wiesner teilt mir um 6 Uhr mit, die Kriegserklärung lautet dahin, dass sich Italien vom 28. an als im Krieg mit Deutschland stehend betrachte. Der Krieg sei auf furchtbaren Druck der Entente unter größtem Widerstreben erklärt worden, ein Zusammenhang mit Rumänien bestehe nicht. (So glaubt Wiesner; wir werden ja sehen, was die Geschichte sagt.)

Abends Besuch Waldstättens. Er informiert sich über die Lage an der küstenländischen Front und hebt die Notwendigkeit eines einheitlichen Kommandos für die Südwestfront hervor, natürlich nicht ohne die Schuld an „Görz“ dem Mangel dieser Leitung zuzusprechen.

Kageneck erwartet unmittelbar die Kriegserklärung Rumäniens. Gestern sei ein Brief des Königs an den Deutschen Kaiser durchgelaufen, welcher Brief wahrscheinlich besagte, ich kann nicht mehr. - In Rumänien dauern die systematischen Einberufungen fort. (Am 24. die Reservisten des Aviatikerkorps, seit 23. ist jedem Stationschef der Eisenbahn ein Offizier zugeteilt). - Bald nachdem ich dies vermerkte, gegen 10 Uhr nachmittags kam Wiesner in die Operationsabteilung, um mitzuteilen, dass uns auch Rumänien den Krieg erklärte, und zwar ohne Begründung. Wer die Nachrichten über militärische Vorgänge in Rumänien, das heißt über die fortschreitende Mobilisierung aufmerksam verfolgte, kann auch vom Zeitpunkt dieser Kriegserklärung nicht überrascht worden sein. Es ist kaum begreiflich, dass der Deutsche Kaiser, der doch alle Fäden in der Hand hat, vor wenigen Tagen noch zu Platen äußerte, Rumänien werde nicht kommen. Jedenfalls ist in dieser Sache von den Politikern ordentlich gepatzt worden. Abends hat das Feuergefecht bei Orsova und Ruśćuk begonnen.

Auf unserem Kriegsschauplatz bei 5. Armee vereinzelt Artillerie- und Minenwerferfeuer. Feindliche Infanterie versucht gegen unsere Stellung nördlich Sv Katarina heranzukommen. Laut Überläuferaussagen sollen hinter der italienischen Front im Görzischen große Verschiebungen an Infanterie und Artillerie stattfinden und bei Fortsetzung der Offensive die Hauptangriffe gegen die Abschnitte M.Santo und Monfalcone gerichtet werden.

Nachts ergeht noch an alle Stellen der Südwestfront die Verständigung: „Rumänien hat uns den Krieg erklärt. Beginn des Kriegszustandes war heute 9 Uhr nachmittags. Italien hat an Deutschland heute mittags den Krieg erklärt.“ An 5.Armee mit dem Zusatz: „Diese Kriegserklärungen machen baldigen Beginn allgemeiner Entente Offensive und daher auch des italienischen Angriffes noch wahrscheinlicher.“

X
Tablet drehen