Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
21.09.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
21.9.1916

Heute vormittags Gerücht über eine Chefkrise. Sie soll wegen einer von unserer Nachrichtenabteilung unter der Marke des Pressequartiers veranlassten Veröffentlichung über die Rechte der Polnischen Legion und die Bildung eines Polnischen Freiwilligenkorps entstanden sein. Hindenburg soll sich in energischen Worten gegen diese Veröffentlichung gewendet haben, weil sie unangenehme Rückwirkung auf die äußere Politik haben, das heißt - wie man hier glaubt - den von den Deutschen noch nicht aus dem Auge gelassenen Separatfrieden mit Russland endgültig verhindere. - Solche Krisengerüchte kursieren jetzt hier jeden Augenblick und werden von gewissen Herren sehr eifrig kolportiert; ja es gibt solche, die schon „ein Aas“ riechen. - Nun davon dürfte es noch weit entfernt sein, denn letzten Endes werden es sich Kaiser und Thronfolger doch sehr überlegen, den einzigen Mann fallen zu lassen, den Österreich hat. Man denke nur an die Nachfolge! Arz? Krauss? oder gar Tersztyánszky? Jeder in seiner Art etwas wert; keiner ein Größerer!

An unserer Front nach Vormittagsmeldungen keine größeren Kämpfe; überall starke Niederschläge (Schneegrenze inTirol bereits 1200 m!) In den Judicarien und vor der Front des III Korps starke feindliche Bewegungen zur Front. Auch im Suganer Abschnitt reger Verkehr auf den Straßen und auf der Bahn bis Grigno. Zweck dieser Bewegungen noch nicht zu erkennen, doch könnte es sich um Eintreffen von Verstärkungen handeln. Natürlich benützt dies die Heeresgruppe sogleich zu einer weitläufigen Darlegung, dass nun ein Angriff gegen Tirol kommen kann, dort keine ausreichenden Reserven sind und „die Oberste Leitung, das AOK.“ etwas tun soll. Darauf sage ich: „Da vorläufig noch Fortsetzung des feindlichen Angriffes im Görzischen wahrscheinlich ist und dieser Front für Gesamtlage höhere Bedeutung zukommt, muss. AOK vor allem dort auf verlässliche Abwehr bedacht sein. Jedoch auch vom HGK dargelegte Eventualität des Verhaltens der Italiener liegt im Bereich der Möglichkeit. Die Bildung starker feindlicher Stoßgruppen würde der eigenen Aufmerksamkeit ebenso wenig wie bisher entgehen. Für den ersten Bedarf Reserven zu schaffen und damit gegebenenfalls die bedrohten Abschnitte zu stärken, wird dem HGK bei einem Frontgewehrstand von 115.000 auch nach den bisherigen Abgaben noch gelingen, zumal sich in einzelnen Abschnitten schon die Jahreszeit fühlbar macht. AOK könnte sich zu weiteren Entschlüssen erst nach Klärung der Lage durch konkretere Daten veranlasst sehen.“ - Aber auch die 5. Armee muss getreten werden, wie an ihrer Front und beim AK. die Lage beurteilt wird; ob Anzeichen bestehen für eine baldige Erneuerung des italienischen Angriffes, dessen Ausdehnung auf andere Frontteile, oder dafür, dass die jetzige Kampfpause nicht allein durch Ablösung und Witterung, sondern auch durch Änderung der Absichten des Feindes und Verschiebungen veranlasst ist.

Abends spricht Kageneck über die Chefkrise und kommt wieder auf den Punkt „Frauen und die dadurch verursachte Tageseinteilung“ zu sprechen. Er sagt mit nicht misszuverstehender Deutlichkeit, dass man in Pless über diese Sache konstant schimpft und witzelt und deutet auch an, es wäre an der Zeit, dem Chef einmal „etwas zu stecken“. Nun, ich habe Metzger schon aufgeklärt und erneuere dies heute bei Kundmann, der mir sagte, er werde die Sache überlegen und eventuell mit der Chefesse sprechen; beim Chef würde dies höchstens Starrköpfigkeit hervorrufen; er würde sagen: Wenn meine Frau geht, so gehe ich auch.

Heute fährt Kless auf einige Tage Urlaub; es tut mir nun, da Ruhe ist, sehr leid, dass ich meine Kurierfahrt nicht ausnützte. Im Krieg ist Voraussagen und voraussehen aber sehr schwer.

Diplomatische Depeschen: Bei Serbien (Pasič) scheint sich das Misstrauen gegen die Verbündeten (speziell wegen eines eventuellen Separatfriedens mit Bulgarien) zu regen. - Joffre drängt Cadorna, dass italienisches Truppenkontingent in Saloniki um eine Division verstärkt wird. Nach dem Urteil Cadornas würde es die Italiener jetzt eine sehr große Anstrengung kosten, auch nur eine Brigade abzugeben. „Wir nehmen doch am Krieg am Balkan durch das Kontingent von Saloniki und durch den Druck unserer Truppen von Valona teil. Angesichts des ungerechten Verhaltens der Verbündeten in den kleinasiatischen Fragen kann die Regierung vor dem Land keine neuen Opfer vertreten, welche sie zwingen würden, die gebieterische Notwendigkeit der Verteidigung und des Kampfes an den vaterländischen Grenzen zu vernachlässigen.“ In diesem Tone weiter! Bravo!

Abends: überall schlechtes Wetter, geringe Gefechtstätigkeit. Schneehöhen vielfach bis zu 1 m.

Bei Cervignano und Cormons lebhafter Zugsverkehr. Ein im Görzischen gemachter Gefangener gibt an, von seinem Hauptmann gehört zu haben, dass die jetzige Ruhepause länger dauern und dass ein neuer, größerer Angriff in der Richtung  Triest, ohne Landungsversuch, folgen wird.

Vom 5. AK. wurde der 57.ITD für die abgehenden 2 Gebirgs Brigaden die 5. JB. und bis zu deren Eintreffen ein Regiment der 44.LITD (die nun ganz zerrissen ist) zugewiesen.

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