Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
27.11.1916
Wählen Sie aus:
Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
27.11.1916

Über den verstorbenen Kaiser liegen nun unzählige Artikel vor; speziell aus Ungarn. B.Hirlap sagt, er sei kein schaffendes Genie gewesen; seine große Geisteskraft befähigte ihn aber doch, tief zu blicken. Der Zwang nötigte ihn, sich in die Formen des verfassungsmäßigen Lebens zu finden; doch hielt er an den in den Majestätsrechten überlieferten autokratischen Rechten fest, was in den letzten Jahren öfters zu Missverständnissen mit der ungarischen Politik führte. Ujság meint, der Kaiser habe schließlich in der Aussöhnung mit der ungarischen Nation sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden. - Die „Deutsche Tageszeitung“ sagt, es habe ihm manchmal die Entschiedenheit am rechten Ort gefehlt. Man muss ihm die Gelassenheit zum Vorwurf machen, mit der er die deutsche Vorherrschaft in Österreich fallen ließ. Unverkennbar sei ein Zug von Resignation, der sich in der zweiten Regierungshälfte immer deutlicher ausprägte. Auch die „Frankfurter Zeitung“ meint, er war stets bereit, den Nationen des Reiches ihre Lebensäußerung bis zur weitestmöglichen Grenze, manchmal eher zu weit, zu sichern. - Die italienische Presse bringt Schmähartikel über den verstorbenen Kaiser und neuerdings Nachrichten über eine bevorstehende Aktion unsererseits an der Südtiroler Front.

In Rumänien nach allen Nachrichten grenzenlose Bestürzung, Zusammenbruch scheint bevorzustehen. - Heute auch aus Russland und Frankreich bestimmte Nachrichten über Kriegsmüdigkeit.

Chef fährt vielleicht abends wieder zur Audienz. Skizzen werden vorbereitet. Ich notiere unsere Kräfteverteilung:

(Unser Stand nach Meldung vom 15.11.; italienisches Bataillon mit 800 Gewehren gerechnet).

An der ganzen Front anhaltend schlechte Witterung, geringe Gefechtstätigkeit. - Nachfolgend der Befehl an 5.Armee wegen Führung des Artillerie- und Minenwerferkampfes: „AK. hat zu melden, wie die Führung des Artillerie- und Minenwerferkampfes in der nächsten Schlacht geplant ist. AOK sieht sich zu dieser Frage veranlasst, weil im Karstabschnitt, abweichend von den Verhältnissen an anderen Fronten, nicht durchwegs ausreichende Deckungen bestehen. Die nun wesentlich erhöhte Stärke der Armee an Geschützen und Minenwerfern könnte es unter Umständen ermöglichen, bei der zu erwartenden Erneuerung der italienischen Offensive durch rechtzeitige (ich hatte „frühzeitige“!), stärkere Entfaltung unserer Feuerkraft den zermürbenden Einflüssen des feindlichen Massenfeuers zu begegnen und die Italiener schon vor ihren letzten Vorbereitungen zum Infanteriestoß empfindlich zu treffen.“

Habe den Eindruck, dass die Deutschen wegen der Auszeichnung des Erzherzogs und Ernennung Conrads zum Marschall eher verstimmt sind, weil sie einen Machtzuwachs des AOKs nicht gerne sehen. Was die militärische Zukunft im Großen betrifft, scheint es, dass deutscherseits nach Erledigung der Rumänen die Fortführung des Angriffes gegen Russland geplant ist. Darauf deuten wiederholte Äußerungen der deutschen Herren hin, dass man die Russen nicht auslassen dürfe. Ich vermute, dass wir „Italiener“ ebenso wie voriges Jahr noch recht schwere Zeiten haben dürften. Schon jetzt trachte ich, an Kräften zu behalten, was wir haben und immer wieder auf die große Übermacht und die für unsere Truppen äußerst schwierigen Verhältnisse im Gebirge hinzuweisen. Leider besorge ich, dass ich in dem zu erwartenden Kampfe intern nicht unterstützt werden dürfte…

Heute kam Major Fleck von seiner Siebenbürgen Reise zurück. Er kann Arz nicht genug loben; das ist durchsichtig genug - aber auch nach der Ernennung Conrads zum Marschall umsonst.

Von Maßnahmen des neuen Kaisers verlautet, dass Marterer gehen wird. Bolfras geht gleichfalls, jedoch auf eigene Bitte, weil er nicht mehr kann. Heute hat der Kaiser durch einen - vom keinem Minister gegengezeichneten Befehl angeordnet, dass Offiziere an der „Neuen Freien Presse“ nicht mehr mitarbeiten dürfen. (Veranlassung war wahrscheinlich der Leitartikel vom 25.früh über den Eid auf die Verfassung, mit einem weißen Fleck, der im Abendblatt kommentiert wurde). Wie ich aber höre, wurde dieses Handschreiben wieder zurückgezogen.

X
Tablet drehen