Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
02.12.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
2.12.1916

Vormittags Seelenmesse für den verstorbenen Kaiser.

Mittagsresümee: Auf der Karsthochfläche nehmen die Artilleriekämpfe, namentlich mit schweren Kalibern, an Lebhaftigkeit merklich zu. Unsere Artillerie blieb in der Wirkung gegenüber der feindlichen nicht zurück. Auch nachts war das Feuer stärker als bisher, besonders gegen den Südteil der Hochfläche. Nach verschiedenen Nachrichten soll die Eröffnung des italienischen Parlamentes auf Mitte Dezember verschoben worden sein. Diese Nachricht und die unbestimmten Meldungen des 5. Armeekommandos über den Charakter des jetzigen Artilleriekampfes, dann das bei Boroević gewöhnliche Schweigen über die Lage veranlassen folgende Anfragen: 1) Welche Stärke hat das Artillerie- und Minenwerferfeuer im Vergleich zur Einleitung früherer Schlachten?

2) Hält AK. den italienischen Angriff für nahe bevorstehend?

3) Bestehen Anzeichen für Ausdehnung und Richtung dieses Angriffes?

4) Wie wird die gestrige Nachricht über die Absicht eines engbegrenzten Angriffes gegen Jamiano beurteilt?

5) Hat es das AK. für notwendig erachtet Reserven vorzuziehen oder sonst die Gruppierung zu ändern?

Heute Inspektion. Entnehme einem Berichte des Militärgouvernements Lublin über die Stimmung hinsichtlich der polnischen Armee sehr interessante Dinge. Kläglicher Erfolg der Anwerbung; Notwendigkeit der allgemeinen Wehrpflicht; alles müsste so eingerichtet werden, dass Eintritt in die Armee wünschenswert wird („heute wünscht kein Pole, sich für Deutschland oder Österreich Ungarn zu schlagen; viele würden aber bereit sein, dies für das eigene Vaterland zu tun“); Notwendigkeit einer Regierung und eines Staatsoberhauptes (und zwar ein Angehöriger eines Herrscherhauses, am besten Erzherzog Karl Stefan).

Die Antwort Boroević besagt: 1) Bisher im Allgemeinen Einschießen der feindlichen Artillerie gegen Stellung und rückwärtige Räume unter ausgedehntestem Gebrauch von Fliegeraufklärung. Nur stellenweise ging der Gegner gestern zum Wirkungsschießen über. Minenwerfer scheinen noch nicht alle vorgezogen und nicht so sehr für Vorbereitung wie hauptsächlich für Durchführung des Angriffes bestimmt; sie wirkten daher bisher nur in bescheidenen Grenzen. Wechselnde Witterung, dann die durch unsere Artilleriewirkung erzielten Explosionen in den Munitionsdepots störten sichtlich die planmäßige Artillerievorbereitung des Feindes. 2) Feindlicher Angriff könnte jeden Tag beginnen. Ablösungen hiezu schon vollzogen, das Gros der feindlichen Artillerie dürfte in Stellung gebracht sein. 3) Nach Evidenz über feindliche Artilleriewirkung kommen hauptsächlich für den Angriff in Betracht: Speziell spricht sich die Artillerievorbereitung gegen die Räume südlich Biglia, Fajti hrib, Kostanjevica, dann aber gegen Raum Hudilog, 208 aus, auch (!) Raum um 144 und 77 südlich hievon, sowie nördlich der Wippach knapp beiderseits der Rosenthaler Straße dürften, nach allen gegnerischen Vorbereitungen zu schließen, Brennpunkte des Kampfes sein. 5) Keine Gruppierungsänderung, Armeereserve noch nicht vorgezogen. -

Die schon gestern erwähnte, übrigens noch nicht vollkommen dechiffrierte Radiodepesche Carlottis vom 29./11. besagt: „In einem Gespräch über den englischen Vorschlag bezüglich der Petersburger Konferenz äußerte Neratow seine Meinung, dass Frankreich und England fast unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen, in der nächsten Zeit ein bemerkenswertes Ergebnis an der Westfront zu erzielen, weshalb sie die Notwendigkeit aufrecht erhalten, dass Russland sobald als möglich eine Aktion großen Stils unternehme. Russland stimmt im allgemeinen diesem Gesichtspunkt bei, bemerkt aber, 1) dass für eine derartige Aktion große Lieferungen von Kriegsmaterial (besonders Artillerie mittlerer und großer Kaliber) und Munition unerlässlich seien. 2) Dass die Grundrichtlinien für eine solche Aktion im Einvernehmen mit den Verbündeten festgelegt werden müssen. Die Aktion selbst müsse durch die größtmöglichen Anstrengungen auf den bezüglichen Kriegsschauplätzen unterstützt werden. Die Petersburger Konferenz hatte daher den doppelten Zweck: Das Ausmaß und die Art und Weise durch Durchführung der Lieferungen zu Gunsten Russlands zu bestimmen und den Plan der russischen Aktion im Zusammenhang mit den Unternehmungen der übrigen Verbündeten festzulegen. (Italien: Vermehrung seiner Truppen in Saloniki und mächtige Offensive an seiner Front, wahrscheinlich auf dem Karst). – Die Minister und der Vertreter der verbündeten Regierungen mussten zusichern, dass ihre Regierungen die Anordnung erteilen, den Krieg innerhalb der beschlossenen Hauptrichtlinien zu führen.“ Nach einer anderen Depesche vom 28.11. will sich Grey sobald als möglich in Begleitung einer militärischen Autorität nach Petersburg begeben. Die dortige Konferenz soll 1) den russischen Feldzugsplan mit dem der Verbündeten in Übereinstimmung bringen, 2) die genaue Lage Russlands bezüglich Munition und schwerer Artillerie prüfen, 3) die finanziellen Fragen erörtern. Auch in Russland will man die Konferenz möglichst beschleunigen, um einen günstigen Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben und die deutschfreundliche Propaganda zu konterminieren.

Abendresümee: Niederschläge und Nebel behinderten an der ganzen Front die Gefechtstätigkeit. Auch im Karstabschnitt hat der Artilleriekampf nachgelassen. Bei Ronchi vormittags mehrere Explosionen. Nach Kundschafternachricht sollen demnächst wieder neue Serien großer Minenwerfer an der julischen Front abgeliefert werden.

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