Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.12.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.12.1916

Gegen 8 Uhr früh Ankunft des Kaisers. Offizieller Empfang abbestellt. Trotzdem Schuljugend u.s.w. als Spalier; Spitzen von Teschen am Bahnhof. Inspektionsnacht recht unruhig; mehrere chiffrierte Depeschen von unserem Verbindungsoffizier bei Mackensen; lauter Berichte über die letzten Tage bei der Donau-Armee, wo nicht alles geklappt hat. - Offiziere des AOKs erwarteten den Kaiser im Schlosshof. Er hatte in der Kapelle eine Andacht verrichtet und schritt dann unsere Reihen ab. - Den im ersten Glied Stehenden gibt er die Hand; soweit ich hören konnte, allen mit der Frage „wie geht’s“. - Gang und Auftreten nicht sehr majestätisch. Seine Umgebung macht keinen besonderen Eindruck; Lobkowitz, der sehr fat and scent of heath ist, eine fürchterlich komische Figur. Genug davon. - Heute Armeebefehl, dass Kaiser kraft seiner Herrscherrechte das AOK. übernommen hat. Ich sah auch ein Konzept etwa folgenden Inhalts: Es ist der ganz bestimmte Wille Seiner Majestät, dass wenn General Seeckt von seinem Posten abgeht, General Konopicky ihn ersetzt, und dass, wenn die 9. Armee aus dem Verband der Heeresgruppe Erzherzog Josef tritt, die Heeresgruppe Böhm-Ermolli unter direkten Befehl des AOKs, das heißt Seiner Majestät, tritt. Ob dies an Hindenburg abgeht oder nicht, weiß ich nicht; jedenfalls ist schon der Entwurf bezeichnend für die Stimmungen, die nun wieder herrschen, anscheinend, weil es uns zu gut geht…

Mittagsresümee: Bei 5. Armee gestern nachmittags infolge besserer Witterung wieder lebhafteres Artilleriefeuer, das auch nachts anhielt. Bei Vertojba stellten in der Nacht eigene Patrouillen fest, dass der Feind in seinen Hindernissen Sturmsassen vorbereitet. In Tirol große Kälte, - 5 bis - 18°.

Eine sehr glaubwürdige Mitteilung des türkischen großen Hauptquartiers enthält folgende, von der Hohen Pforte erhaltene Nachrichten über die Verhältnisse in der Entente: Der italienische Botschafter in Petersburg berichtet seiner Regierung, dass Russland nicht in der Lage sein werde, eine großzügige Operation gegen die österreichisch-deutsche Front zu unternehmen und gleichzeitig die Rumänen zu unterstützen, und zwar wegen ungenügender Munitionsvorsorge und innerer Verhältnisse im Lande. Ferner, dass Friedensneigungen, welche in den niederen Schichten des russischen Volkes schon seit einiger Zeit zum Ausdruck kommen, nunmehr auch auf höhere Schichten und einflussreiche Köpfe übergegriffen haben. Wenn auch der Wunsch zum Friedensschluss mit Deutschland noch keinen bedeutenden Ausdruck gefunden hat, so müssen die vorgenannten Verhältnisse doch mit Aufmerksamkeit verfolgt werden. Neue Kriegslage in Rumänien und Auskünfte des italienischen Botschafters in Petersburg haben in italienischen Kreisen große Unruhe hervorgerufen. Boselli und italienischer Minister des Äußeren hatten mit russischem Botschafter in Rom zwei Zusammenkünfte, wobei es zu lebhaften Auseinandersetzungen kam. Erfolge der Zentralmächte in Rumänien und Passivität der Armee Sarrail erzeugen verschiedene Auffassungen zwischen italienischem Kabinett und leitenden militärischen Kreisen, welch letztere einen überwältigenden Angriff der Zentralmächte gegen Italien fürchten. Hierüber fanden an der Front Konferenzen zwischen dem König, Cadorna und Boselli statt. Cadorna wirft der Regierung vor, dass sie sich durch russische Versprechungen über die voraussichtlichen Erfolge des Balkanfeldzuges täuschen ließ und hiedurch die Genehmigung der Heeresleitung zur Kriegserklärung an Deutschland und zur Entsendung von Kräften nach Saloniki provozierte. Bei gegenwärtigem Stand der Dinge findet Cadorna Kriegserklärung an Deutschland bedauerlich und macht gegenwärtige Regierung hiefür verantwortlich. Mehrere Senatoren und Deputierte haben dem König ein Memoire vorgelegt, worin sie gegen die Regierung und die Ausdehnung der Operationen Stellung nehmen und auf die Unzufriedenheit im Lande und die Gefahr, welche diesem droht, hinweisen. Hieraus und aus anderen verlässlichen Nachrichten wird geschlossen, dass die Situation des Kabinetts Boselli sehr schwierig geworden ist und dass die Regierung bei Eröffnung der Kammer einer starken Opposition gegenüber stehen wird. Die Regierung schreibt das vorgenannte Memoire Intrigen Salandras und Cadornas zu. Die Meldungen, dass die Italiener eine Offensive befürchten, kehren von allen Seiten wieder.

Heute ungeheurer Erfolg in Rumänien. Feind völlig geschlagen, die Jalomnita erreicht, über 4.000 Gefangene, unübersehbare Beute. Nun ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten. Jetzt geht es auf Ploiești und Bukarest los.

Abendresümee: Dasselbe Bild. - An der ganzen Front zwischen M.Santo und dem Meer normale Artilleriekämpfe, an denen feindlicherseits auch schwere Kaliber mitwirkten. Sehr rege Fliegertätigkeit. Feind warf wieder auf mehrere Orte Bomben ab. Mehrere, für uns erfolgreiche Fliegerkämpfe. - Die Brigaden Acqui und Sassari, die noch Mitte November auf der Hochfläche der 7 Gemeinden festgestellt worden waren, sollen sich laut Aussage von Überläufern der Brigade Arezzo im Raum östlich von Monfalcone, angeblich in erster Linie befinden. Die Nachricht, dass die Parlamentseröffnung auf Mitte Dezember verschoben wurde, konnte bisher nicht bestätigt werden. Angeblich soll der endgiltige Tag im gestrigen Ministerrat bestimmt worden sein. - Die Verzögerung des italienischen Angriffes wird immer auffälliger. Zwar kann auch das Wetter mitspielen; bei der andauernden Unklarheit und Schlauheit der Meldungen der 5. Armee muss man aber darauf gefasst sein, dass uns Boroević die wehre Sachlage wieder verschleiert. Dauert dies noch einige Tage an, so würde ich mich wieder entschließen hinunter zu fahren und mich vorne zu orientieren. - Die bisherigen Meldungen der 5. Armee und Heeresgruppe an die Militärkanzlei werden eingestellt.

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