Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
07.12.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
7.12.1916

In der italienischen Presse nimmt seit ungefähr 2 - 3 Wochen die Erörterung der nächsten großen Hindenburgischen Offensive den breitesten Raum ein. Es heißt, wie die Tribuna Mitte November sagte, er beabsichtige, für das kommende Frühjahr eine Riesenoffensive auf irgendeinem Kriegsschauplatz vorzunehmen, um eines der Mitglieder des Viererverbandes nächst Rumänien endgiltig aus dem Krieg auszuschalten. Während nun die Pariser Konferenz neuerdings die Entsendung italienischer Truppen auf andere Kriegsschauplätze verlangte, sei es an der Zeit die Frage aufzuwerfen, was dann die Verbündeten zu tun gedächten, um Italien zu helfen, wenn Italien „der Nächste“ wäre.

Gestriges Abendresümee: Am Karst Artilleriefeuer wechselnder Stärke. Wetter seit mittags in Aufheiterung. In Kärnten und Tirol zahlreiche Lawinenabgänge, im Pasubiogebiet eine Wetterkatastrophe, wobei die auf den russischen Kriegsschauplatz abzugebende Brücken-Kompagnie verschüttet wurde. Gestern 4 Offiziere, 82 Mann tot, 1 Offizier, 63 Mann Verletzt, zahlreiche Baracken verschüttet, Verbindungen unterbrochen u s.w.

Mittagsresümee: Im Wippachtal und auf der Karsthochfläche gestern nachmittags normales Artilleriefeuer, das auch nachtsüber anhielt. Um 10 Uhr nachts erzielte ein eigener Artilleriefeuerüberfall im Vallonetal eine große Explosion, der bis 1h30 vm. andauernd kleine Explosionen folgten. Gestern nachmittags bei zunehmender Aufheiterung rege Fliegertätigkeit. In Kärnten und Tirol weitere zahlreiche Lawinenabgänge.

Über den Feind eine der wichtigsten Nachrichten des ganzen Feldzuges: Nach Radiodepeschen ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das „Kommando der Hochflächen“ in Bassano in ein „6.AK.“ umgewandelt wurde, dem vermutlich das 18., 20. und 22.Kps. unterstehen. Der 1. Armee dürften das X., V. und 21. Korps verblieben sein. Trifft dies zu, so ist darin ein Beweis zu erblicken, dass Cadorna ernstlich an die Organisierung einer starken Abwehr gegen einen neuen Angriff aus Tirol denkt. Das bisherige Verhältnis, wo ein Armeekommando in Verona 6. Korps vom Stilfser Joch bis zum Rollepass leitete, war für uns viel angenehmer. Umso stärker wird ein Angriff unsererseits aus Tirol sein müssen, umso mächtiger die Artillerie, weil man nun besonders mit sehr starker Befestigung und Abwehr in dem Raum vor unserem „Ausfallstor“ rechnen muss. - Es könnte aber auch sein, dass in der Organisierung der 6. Armee ein erster Ansatz zu einem Angriff italienischerseits - nach dem Sprichwort „der Hieb ist die beste Parade“ zu erblicken ist. Dies für den jetzt allerdings unwahrscheinlichen Fall, als sich die Gesamtlage der Entente im Frühjahr bessern sollte. - Das Bild der Gruppierung des Feindes am Nordteil der Karsthochfläche ist dahin zu ergänzen, dass sich hinter den vom Volkovnjak bis halbwegs Fajti - Kostanjevica stehenden 5 Brigaden im Vallonetal 4 weitere, darunter die Grenadierbrigade Sardegna befinden. Diese wurden von Palmanova vorgezogen, sie werden gewöhnlich an entscheidenden Stellen eingesetzt. Alles deutet somit darauf hin, dass ein sehr starker Stoß gegen den Nordteil der Karsthochflächen beabsichtigt ist. Mehrfache Nachrichten der letzten Tage lassen auf besonders starke Artillerieentfaltung schließen.

In der Frage der Verlegung des Oberkommandos sollen zwischen Kaiser und Chef ziemlich ernste Differenzen bestehen. Dies ist einzelnen Äußerungen von Leuten hier zu entnehmen, die sonst gut eingeweiht sind. Auch Wiesner hat sich geäußert, dass die Sache im In- und Ausland keinen guten Eindruck machen wird. Termin voraussichtlich um Neujahr, weil die Vorbereitungen, besonders bezüglich der telegrafischen Verbindungen, so lange brauchen. Die Verlegung soll ein ganz persönlich ausgesprochener Wunsch des Kaisers gewesen sein und 1) die Einstellung der hiesigen Weiberwirtschaft, 2) den intensiven Verkehr des Kaisers mit seinen Ministern ermöglichen, 3) soll das AOK zwischen Reichenau und Wien gelegen sein.

Abendresümee: Unsere Stellungen auf der Karsthochfläche standen bis 11 Uhr vormittags unter starkem feindlichen Feuer, zumeist schwerer Kaliber. Bei Kostanjevica steigerte sich dieses Feuer zeitweise zum Trommelfeuer, flaute aber dann infolge starken Regens allgemein ab. - In Tirol und Kärnten andauernd außergewöhnlich starker Schneefall. Dies veranlasst uns, die in Tirol bereitgestellten 4 Bataillone dem HGK zur Verfügung zu stellen, jedoch derart, dass sie auf Aviso binnen 48 Stunden abfahren können. Die 41.LITD wird morgen abrollen; Metzger wünscht, dass Boroević möglichst spät verständigt wird, damit er sparsam mit seinen Reserven umgeht. Mir scheint, man führt doch im Schilde, diese Division irgendwohin „abzudrehen“, sonst wäre es wegen Ruhe bei der Eisenbahn, Vorbereitung der Unterbringung u.s.w. gut, das AK. ein paar Tage früher zu verständigen.

Feind: Der Abtransport der Bersaglieri-Spezialbrigade nach Tirol bewahrheitet sich nicht; heute wurden bei Kostanjevica Gefangene von dieser Brigade gemacht.

Nach einem Telegramm des italienischen Botschafters in Tokio vom 2. Dezember unternehmen Frankreich, Russland und England bei Japan Schritte, um dieses zu einer aktiven Teilnahme am europäischen Krieg zu bewegen. Der Botschafter hält aber die Einwilligung Japans für mehr als zweifelhaft und kommt zu dem Schluss, die Verbündeten würden gut tun, nur auf ihre eigenen Kräfte zu zählen. Einerseits bestehe eine stark deutschfreundliche Partei, die unter dem Eindruck des langsamen Fortschreitens der Somme - Offensive und der raschen Erfolge in Rumänien an Einfluss gewinnt, andererseits würde Japan weit größere Forderungen stellen, als das Angebot der Verbündeten (angeblich Annexion von Schantung, endgiltiger Besitz der ganzen östlichen Mandschurei und einiger von Japan besetzter Inseln) beträgt.

Die Eröffnung des italienischen Parlaments am 5.Dezember erfuhren wir erst aus der heutigen Morgenzeitung. Die Rede Bosellis macht einen geradezu kläglichen Eindruck.

Abends gelegentlich des Überbringens eines Resümees ein längeres Gespräch mit Kundmann über die Frage einer Offensive gegen Italien. Dabei betone ich, wie gestern bei Metzger, den Standpunkt, dass etwas ganz Großes gemacht werden müsste; ist dies in näherer Zeit nicht möglich, so warte man lieber.

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