Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
14.01.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
14.1.1917

Früh zirkele und spekuliere ich weiter über die Versammlung zur Tolmeiner Offensive. Will damit aber erst hervortreten, bis das Ganze in ein Stadium größerer Reife getreten ist. Mittags machte mir Metzger sehr wichtige Eröffnungen. Der Kaiser reist heute nach Tirol, wird dort etwa 4 - 5 Tage bleiben und am 25. nach Pless fahren. Chef fährt nach Tirol nicht mit, wohl aber nach Pless, und beabsichtigt, bis dahin den Boden für die Besprechungen über die Frage des italienischen Krieges vorbereitet zu haben. Demnach wird ungefähr am 20. das von mir angeregte Memoire in Händen der Deutschen sein müssen. Ich werde es zu verfassen und auch zu vertreten haben, da mir Metzger - wie er sagt – so viel diplomatisches Geschick zumutet. Die Ausführungen über die italienische Offensive werden beiläufig in demselben Umfang gehalten sein, wie in meiner Studie, nur wird eine Einleitung, die die Zweckmäßigkeit, ja Notwendigkeit dieser Offensive aus den Verhältnissen des Weltkrieges ableitet, vorangehen müssen. Der Chef hat in den letzten Tagen seine Gedanken darüber niedergelegt; dieser Niederschrift wird manches zu entnehmen sein, den Gedankengang dieser Einleitung legte mir Metzger ungefähr folgendermaßen dar: Der Kräfteverbrauch im rumänischen Feldzug ermöglicht es uns („uns“ bedeutet immer: den verbündeten Heeren) nicht, vor dem Frühjahr neue große Offensiven zu beginnen. Sobald für solche Operationen wieder Kräfte zur Verfügung stehen, kommen (da die Westfront und der Balkan keine Aussichten bieten,) der russische Kriegsschauplatz und auf diesem vor allem der Raum von Lemberg und der italienische Kriegsschauplatz in Betracht. Unsere Gegner werden ihre Anstrengungen voraussichtlich an mehreren oder allen Fronten erneuern. An der russischen Front können immer wieder nur Russen auftreten. Diese Front ist unsererseits genügend gefestigt, seit Monaten ausgebaut und wird noch stärker werden. Dass Operationen auf diesem Kriegsschauplatz uns der Kriegsentscheidung näherbringen, ist nicht zu gewärtigen. Ebenso wenig wie dies uns bei neuerlichem Terraingewinn gelingen würde, brächte auch den Russen ein solcher Gewinn - und erfolgte er auch in dem empfindlichen Raum von Lemberg, ja im Stile von Luck über Lemberg hinaus - entscheidende Erfolge. - An der westlichen Gesamtfront haben die Ententemächte die Möglichkeit, uns an einer äußerst empfindlichen Stelle, nämlich durch einen Vorstoß gegen Triest zu treffen, wo wir gegen eine sehr bedeutende feindliche Übermacht ohnedies schon an der Schneide stehen. Große feindliche Erfolge an dieser Front können eine für die Monarchie äußerst gefährliche Lage hervorrufen und dadurch auch die Entscheidung des Weltkrieges bringen. Dies mit Sicherheit zu verhindern, werden für alle Fälle, das heißt auch wenn wir im Südwesten in der Verteidigung bleiben, unserer italienischen Front erhebliche Kräfte zugeführt werden müssen. Die Verhältnisse ermöglichen aber an dieser Front einen Angriff mit Chancen wie an keiner zweiten. Nun Übergang zu den Gedanken der Studie, natürlich mit ausführlicher Berücksichtigung des darin mehr als bekannt vorausgesetzten operativen Momentes. - Speziell wird die Bedeutung der Operation von Tolmein geschickt hervorzuheben sein; auch muss dargelegt werden, dass in Tirol solange als irgend möglich kein deutscher Soldat gezeigt werden darf, um die Aufmerksamkeit der Italiener von dort abzulenken. Ob das Heeresfrontkommando an der Isonzofront den Deutschen angeboten wird, hängt noch vom Chef ab; dieser scheint nicht dazu zu neigen - dann wird vielleicht die Frage der einheitlichen Leitung der gedachten zwei Isonzoarmeen überhaupt zu übergehen sein. - Dies im Wesentlichen, mehrfach durch eigene Verwendung ergänzt, die Gedanken, die mir Metzger darlegte. Habe mir dies gleich aufgeschrieben, um es - auch für die Geschichte - festzuhalten. - Es fehlt noch ein Artilleriekalkül; dieses wird Pflug im Großen auszuarbeiten haben. Interessant ist noch, dass Metzger sagte, der Chef wird den Kaiser heute nur im Allgemeinen über die Notwendigkeit orientieren, mit den Deutschen in Verhandlungen über die Kräfte einzutreten, die sie uns in diesem oder jenen Fall gegen die Italiener zur Verfügung stellen können; über Gruppierung und Angriffsrichtung wird der Chef aber nichts sagen, damit der Kaiser niemand anderem gegenüber darüber sprechen kann. Der Kaiser scheint übrigens mehr dazu zu neigen, bis in den Sommer hinein nichts zu machen; überhaupt sei er nicht so der Mann der starken Hand als seine Worte vermuten lassen. Vielmehr neige er immer jenen zu, die Bedenken geltend zu machen wissen.

Nachmittags fahre ich zu Mitzchen. Bleibe über Nacht, um morgen meine Arbeiten mit neuen Kräften (!) anzugehen.

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