Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
23.01.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
23.1.1917

½ 10 Uhr vormittags mit 3 Stunden Verspätung in Dzieditz angekommen; Autofahrt nach Pless, dort gegen 11 Uhr Meldung bei Hindenburg. Der große Mann sieht in seiner Kanzlei auch gewaltig genug aus; besonders schön kommt aber seine natürliche, eiserne Ruhe zum Ausdruck. Er nimmt die Denkschrift entgegen und sagt, sie müsse zuerst gelesen und studiert werden. Darüber dürfte wohl der heutige Tag vergehen. Morgen könne man darüber sprechen, und zwar abends, etwa ½ 6 Uhr. Hindenburg ist äusserst freundlich; die Ehrlichkeit und Gutmütigkeit glänzt aus seinen treuen Augen. - Dann Meldung bei Ludendorff. Aber auch dieser sehr nett. Er geht geradeaus auf den Kern der Sache ein, indem er die 2 Fragen stellt. Wo? Antwort: Hauptangriff wieder aus Tirol. Wieviel? 13 Divisionen, mit Ablösungen 16. - Darauf Ludendorff nach einem Moment des Nachdenkens: Woher nehmen und nicht stehlen. Weiters fragt er, ob das Elaborat sehr umfangreich ist, worauf ich ihm den Umfang gegen 16 - 18 Seiten angebe; es sei in 2 - 3 Stunden leicht zu lesen. -

Hindenburg lädt mich und Bienerth, der mich überall vorstellt, zum Frühstück für 1 Uhr. - Nach Ludendorff noch Vorstellung bei Major Wetzel, dem 1a Ludendorffs; der bittet mich für heute ½ 4 Uhr zu einer Besprechung. - Bienerth sagt mir über die Stimmung in Pleß, sie lasse sich als ernsten Optimismus charakterisieren. Zunächst erwarte man ein großes Boxen in Frankreich. Das Hauptquartier dürfte Mitte Februar nach Kreuznach übersiedeln. Die gegenwärtig aktuellste Frage sei jene des Unterseeboot Krieges; da stehen sich die Ansichten der Militärs und der Politiker ziemlich schroff gegenüber. Letztere besorgen das Eingreifen Amerikas und Hollands. gegen diesen Staat müsse man daher immer Kräfte in Reserve haben. - Mittagessen um 1 Uhr. Sitze schräg gegenüber Hindenburg.

           Zeki                                 Hindenburg                                  Petrov

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Maj. Böckelberg           ich                   Ludendorff                         Bienerth

 

Recht große Gesellschaft. Viel größer wie bei unseren Messen. Aber auch nur Operationsabteilung und Gäste. Ton sehr nett und gemütlich. Hindenburg spricht wenig, aber sehr freundlich. Ludendorff kommt mit mir bald in angeregtes und sachliches Gespräch. Ihn interessieren besonders die Verhältnisse auf dem Karst. Unsere Stellungen, Artillerie, Beurteilung der Lage, Zeitpunkt des nächsten Angriffes der Italiener u.s.w. Gebe ihm über alles eingehend Auskünfte. Über die Denkschrift sagt er mir nur, Hindenburg habe sie gelesen, jetzt müsse er *) sie mit Wetzel durchbesprechen ( *) Ludendorff); ich würde daher heute Ruhe haben. Dasselbe sagt auch Hindenburg.

Morgen werde ich entweder vor - oder nachmittags zu einer Besprechung befohlen werden. Kann daher wahrscheinlich erst morgen nachts fahren. Nachmittag 5 Uhr Tee bei Bienerth; Tee ohne nix; es gibt hier eben nichts. Bienerth erzählt, dass das jetzige Regime sehr ehrlich und entgegenkommend sei. Man gehe absolut nicht darauf aus, die Monarchie „kleinzukriegen“. Ludendorff sei in allen Angelegenheiten sehr loyal. Die Beschwerdesache Tersztyánszky - Linsingen mache den Deutschen naturgemäß viel Kopfzerbrechen, da Tersztyánszky auch eine Entschuldigung nicht als ausreichende Genugtuung erachte. Ich muss noch nachtragen, dass man dem Abgehen Slameczkas (von dem ich offiziell noch gar nichts weiß) ganz besonderes Interesse entgegenzubringen scheint. Von allen Seiten wurde ich darüber befragt. Slameczka scheint also hier sehr bekannt zu sein. Von Bienerth aus melde ich dem Chef schriftlich (per Kurier) die Übergabe der Denkschrift, dann dass morgen Besprechungen sein werden, über die ich kurz mit Hughes oder, falls ich am 25. vormittags noch nicht in Baden eintreffen könnte, schriftlich berichten würde.

11 Uhr nachts. Diese Zeilen schreibe ich vor dem Einschlafen, „im Bettchen“, im Hotel Plessenerhof. War heute abends wieder beim Generalfeldmarschall und hatte die Ehre, zu seiner Linken zu sitzen. Ich lasse mir doch von keinem Menschen imponieren - und dachte heute unausgesetzt, worin die Größe dieses großen Menschen liege und komme immer auf die Antwort, im Natürlichen. Hindenburg ist Natur. Natur ist jedes Wort, das er spricht. Man fühlt, wie er auf dem Lande aufgewachsen sein, immer am liebsten in der Natur gelebt haben muss, bis er schließlich selbst Natur wurde. Seine Augen leuchten, er wird wärmer, wenn er von Wald und Jagd, von Feld und Bauern sprechen kann. Tirol scheint er gründlich zu kennen; die prächtigen Gestalten, die jetzt wohl alle - wie er sagt - Standschützen geworden sein müssten, kann er nicht genug loben und bewundern. Gar nichts hat er vom klotzigen Preußen; im Gegenteil, er ist die Liebenswürdigkeit selbst. Spricht gerne und hört gerne reden. - Nach dem Nachtmahl ging der Generalstab wieder an die Arbeit, Hindenburg auch, offenbar zu kurzem Vortrag. Dann kam er wieder zu uns (Bienerth, Bismarck und ich sind darunter gemeint) zurück, trank noch einige Glas Bayrisches und plaudert mit derselben herzgewinnenden Freundlichkeit und Ruhe weiter, bis Bienerth das Zeichen zum Aufbruch gab. Über die Sache kein Wort, nur aus manchen Andeutungen, speziell des Majors von Bismarck, entnehme ich, dass die „Stimmung“ für einen Krieg gegen Italien nicht ungünstig sein soll. - Interessant ist, dass Hindenburg über Parlamente und Parlamentarier besonders scharf und abfällig urteilt; er könne der ganzen Institution nichts abgewinnen; lauter Clans, die vom ganzen Geschäft nichts verstehen, der beste Staat sei ObOst gewesen, da gab es kein Parlament, dafür aber jeden Tag ein paar Gehenkte… - Ich stehe dieser ganzen Welt schauernd und sinnierend gegenüber. Soll mein Tagebuch menschlicher werden und seine trockene Form aufgeben? Nein; denn mir fehlt die Sammlung, über die tieferen Dinge dieser Welt im Kriege so schreiben zu können, dass ich das Geschriebene nicht später belächeln, ja vielleicht bereuen müsste. Überall fühle ich meine Haltlosigkeit, kein Wissen, kein Urteil, keine Gesinnung, keine Anschauung; und das bin ich?...

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