Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
28.02.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
28.2.1917

Heute früh erreiche ich durch Erkundigung über die künftigen Verhältnisse an der Südwestfront eine Aussprache mit Metzger über die ganze Lage. Ich konnte daraus ungefähr folgendes entnehmen: Die Enthebung des Chefs war schon seit längerer Zeit eine beschlossene Sache. Erzherzog Friedrich, der selbst erst vor kurzem in einer unwürdigen Weise weggejagt wurde, hat sich dazu hergegeben, in dieser Sache „zu reisen“. Nun ist es erklärlich, wieso die Deutschen so leichthin zur Unterstellung des rangälteren Gerok unter Arz zugestimmt haben. Als Zeitpunkt dieser Unterstellung war der 24. bestimmt und am 26. platzte die Bombe. Der deutsche Kaiser hat eben alles schon gewusst. Weiß Gott, wer noch alles gewusst hat - nur der Betroffene nicht... - Es ist auch wahr, dass Erzherzog Friedrich beauftragt wurde, dem Chef die Eröffnung von seiner Enthebung zu machen. Erst später fand der Kaiser den Mut, selbst dem Chef zu sagen, er müsse in Kenntnis sein, dass schon seit längerer Zeit Intrigen gegen ihn gesponnen werden. Der Kaiser hat stets getrachtet (!), ihn zu halten; nun aber hätten jene Intrigen ein Maß erreicht, das ihn zwinge, auf die Dienst des Chefs zu verzichten. Soviel hat der Chef Metzger gesagt. Über alles weitere bewahrt er strengstes Stillschweigen. Metzger hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Partei, welche seit langem am Werk ist, die Stellung des Chefs abzugraben, gesellschaftliche, verwandtschaftliche oder wirtschaftliche Beziehungen der Frau des Chefs entdeckt habe, die eine Handhabe zum Sturz abgaben. - Alle Vorgänge haben sich in voller Unkenntnis des AOKs vollzogen, so wahrscheinlich auch die Ernennung Arz, der wahrscheinlich schon ein Handschreiben hat und auf dem Wege hieher sein dürfte. Metzger bezeichnet es nicht als ausgeschlossen, dass der Chef schon heute abreist. Den Antrag, das Heeresgruppenkommando in Tirol zu übernehmen, hat er abgelehnt; und es ist begreiflich, dass ein Mann so tut, der eigentlich die Monarchie aus dem Dreck gezogen hat. Durch diese Ablehnung ist die Regelung der Befehlsverhältnisse an der Südwestfront wieder unklar; es unterliegt aber keinem Zweifel, dass Erzherzog Eugen das Ganze bekommen wird. Seinen Aufenthalt wird er natürlich dort nehmen, wo es ihm passt. - Metzger verschweigt nicht - was ich mir auch gestern schon beim Lesen einiger Radiodepeschen dachte - dass auch in der äußeren Politik manches nicht richtig ist. Czernin ist zwar über alles orientiert, aber ein Träumer, der nach allen Richtungen schaut und daher geneigt ist, von der bisherigen geraden, ehrlichen Politik abzuweichen. Tatsächlich scheinen sowohl unsererseits als auch von deutscher Seite geheime Verhandlungen und Sondierungen mit unseren Gegnern begonnen zu haben. Man vergesse aber bei uns nicht, meint Metzger, dass Deutschland imstande ist, fast alle unsere Gegner auf unsere Kosten zu befriedigen und sich für alle Zeiten zu Freunden zu machen.

Heute der erste Befehl des Inspektors des Ersatzwesens für die gesamte bewaffnete Macht: Darin wird gleich gesagt, dass durch weitere Aushebungen wegen der außerordentlichen Inanspruchnahme des Menschenmateriales der Monarchie während des 2½ jährigen Krieges gegen übermächtige Gegner nur mehr wenig frontdiensttaugliche Mannschaften gewonnen werden können. Die im Hinterland zurückgebliebenen Arbeitskräfte seien ihren Aufgaben - Versorgung der Wehrmacht mit allen Bedürfnissen und Ernährung der Bevölkerung - kaum mehr gewachsen. Daher: Möglichste Reduktion der Stände an Nichtkämpfern bei der Armee im Felde. Herausziehen aller irgendwie entbehrlichen Frontdiensttauglichen. Aufstellung von Exposituren für das Ersatzwesen bei den Armee - und selbständigen Korpskommandos. Endlose Schreibereien - während unsere Gegner schon längst für die Frühjahrsentscheidung vorgedacht haben. Ich hatte immer den Eindruck, dass es in dieser Beziehung bei uns an Voraussicht und Energie gemangelt hat; beabsichtige auch ein neuerliches Referat zu erstellen über die Verhältnisse an der italienischen Front, damit man sich dann nicht wundern kann. - Wallenberg erzählt, Ludendorff habe zur Absetzung Conrads gesagt: „Das ist eine verlorene Schlacht.“

Chef ist heute abgefahren: Nachmittags sah ich ihn, wenn ich nicht irre, hier das letzte Mal, in einem Auto mit seiner Frau. Der Deutsche Kaiser, so sagt man, habe unserem durch Cramon kalt sagen lassen, er danke für die Nachricht.

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