Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
10.03.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
10.3.1917

Bei meiner Inspektion kommt von Fleischmann eine Beurteilung der Feindlage von Obost, deren wichtigste Gedanken Rüstung für große Frühjahrsoffensive noch nicht beendet. In vollem Gange befindliche Neuformierungen und hiemit zusammenhängend andauernde Truppenverschiebungen kennzeichnen die gegenwärtige Phase russischer Frühjahrsvorbereitungen. Teilangriff vor Schneeschmelze aber nicht ausgeschlossen. Im ganzen etwa 90 neue Divisionsnummern. Von diesen entfallen über 60 auf den Bereich Obost, davon etwa 1/5 bereits in Front. Obgleich der größte Teil dieser Neuformationen keinen zahlenmäßigen Kraftzuschuss darstellt, so werden der russischen Führung mit den neuen Divisionen doch große Reserven in die Hand gegeben. Vor Schneeschmelze Angriffe bei HG.Eichhorn am wahrscheinlichsten. In Wolhynien - Galizien trägt russische Kräfteverteilung noch die Merkmale der festgefahrenen Sommeroffensive, aus der im Herbst die Bildung der russisch-rumänischen Front ermöglicht werden musste. Engere Gruppierung nur noch westlich Luck und südlich Brzezany zu erkennen. Erwägungen über Raum und Richtung der nach der Schneeschmelze zu gewärtigenden großen Offensive noch verfrüht. Einzelne Anzeichen deuten auf Rumänien, doch lässt die gegenwärtige gegnerische Gruppierung sowie deren Beziehung zum strategischen Bahnnetz konkrete begründete Schlüsse noch nicht zu. Unveränderliche Wichtigkeit wird an der Obost - Front den alten Operationszielen Lemberg, Bahn Wladimir-Wolynsk - Kowel, Baranowitch, Wilna, Mitau beizumessen sein. - Auf unsere Kräfteanforderung für I antwortete die OKL (Auszug): Lage auf den türkischen Kriegsschauplätzen macht es notwendig, Enver eine türkische Division aus der Strumafront, eine aus Rumänien zuzuführen. Ende März wird eine deutsche Division der 9. Armee in Ploesti so bereitgestellt werden, dass sie nicht nur als Reserve der HG. Mackensen, sondern auch im dringendsten Notfall dem H.F.Kdo. Eh.Joseph zugeführt werden kann. Eine Abgabe von k.u.k. Truppen aus Rumänien kann somit nicht in Frage kommen. Ob es möglich sein wird, nennenswerte Kräfte aus der H.F. Eh.Joseph herauszuziehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Hindenburg hält es in Berücksichtigung der dortigen oft außerordentlichen Frontbreiten für ausgeschlossen. Folgt die Antwort des Obost (gestern dem Wesen nach notiert). Obost wurde angewiesen, mit Rücksicht auf russische Neubildungen, rund 50 Divisionen, nach und nach starke Reserven herauszuziehen. Um Ostfront für die in diesem Frühjahr sicher schon zeitig einsetzende russische Offensive zu schützen, werden 3 neugebildete deutsche Divisionen zugeführt, die aber nicht vor Anfang April und dann zunächst nur in ruhigeren Fronten Verwendung finden können. Angesichts russischer Vorbereitungen muss alles getan werden, um die Festigkeit der Ostfront zu gewährleisten und eine ähnliche Gefahr wie 1916 unbedingt auszuschließen. Anregung: Durch Einsatz der polnischen Legion an der Italienischen Front Aushilfe zu schaffen. Da deren Anwesenheit bei der langsamen Entwicklung des polnischen Heeres nicht mehr zu rechtfertigen ist nach der Gesamtkriegslage, die jeden ausgebildeten Mann an der Front verlangt. Daher wird anheimgestellt: Wieder Vereinigung der polnischen Legion und Einsatz an der italienischen Front, wodurch dieser eine wenn auch nicht allzu starke, so doch ausgeruhte Division zugeführt würde.

Zum „Chef des Ersatzwesens“ wird nun auch ein Inspektor des Ausbildungswesens geschaffen. Pflanzer redivivus! So werden Ämter über Ämter geschaffen; Erfolg null. Ja sogar negativ.

Die Verpflegslage nimmt einen immer ernsteren Charakter an. In Wien ist tatsächlich Hungertyphus. Auch Schneider, der heute hier ist, sagt mir, die Ersatzfrage sei im Grunde nur eine Verpflegsfrage. Es fehlt an genügend ernährten Leuten.

Auch die französische Presse urteilt über den Personalwechsel bei uns ähnlich wie die italienische. Le Journal sagt über Arz, dass seine Folgsamkeit ihm die Talentlosigkeit ersetze. Der Kaiser verlegt sich jetzt auf Inspizierungen: In Wien bei Ersatzkaders (wo angeblich nur Kadetten bei der Ausbildung waren und die Offiziere erst um 11 Uhr in die Kasernen kamen). Auf Grund einer anonymen Anzeige wurde der Semmering von der Polizei heimgesucht, weil dort Champagnergelage stattfanden; es waren aber nur - Herren der Bulgarischen und Türkischen Botschaft und Verwundete oder rekonvaleszente Offiziere beteiligt.

Abends höre ich von Fischer (der alles weiß!), die Deutschen beabsichtigen einen großen strategischen Rückzug im Westen, zwischen Arras und St.Quentin, um circa 50 km Terrain zwischen sich und den Feind zu legen und 15 Divisionen und mehrere Hundert Batterien freizubekommen.

Verpflegsstand der Armee im Feld am 1.II.:

Ostfront: 1,477.000 (ohne ottomanische Truppen), Südost: 184.000, SW: 1,002.000 (5.: 477.000, 10.: 121.000, HG: 409.000 [Additionsfehler im Original]).

Gesamtverpflegsstand. 88.000 Gagisten, 7.000 höhere Unteroffiziere, 2,838.000 Mannschaften, 54.000 nicht landsturmpflichtige Zivilpersonen, 297.000 Kriegsgefangene, 154.000 Kranke und Verwundete, zusammen 3,438.000; 961.000 Pferde und Tragtiere.

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