Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
31.03.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
31.3.1917

Heute bekomme ich den Bericht Conrads in die Hand. „Die Vorgänge in Russland“, sagt er, „haben in die Kriegslage eine einschneidende Änderung gebracht. Ich bitte die Rückwirkung dieser Vorgänge darlegen zu dürfen, wie ich sie in Bezug auf den mir unterstehenden Befehlsbereich beurteile. Ich könnte in den russischen Vorgängen eine militärische Gefahr nur dann sehen, wenn es den Machthabern in Russland gelänge, alle Parteien zu einigen und Russland zu einem großzügigen Nationalkrieg zu bringen. Dies scheint mir aber gänzlich ausgeschlossen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die gegenwärtige Lage in Russland derart ist, dass die Machthaber gezwungen sein werden, den Frieden zu suchen, aber wenn dies nicht sofort der Fall wäre, ist die Desorganisation in Russland eine solche, dass große einheitliche Aktionen nicht zu besorgen sind. In beiden Fällen, besonders im ersteren, werden daher unserer- und deutscherseits namhafte Kräfte der russischen Front freigemacht werden können, welche meines Erachtens gegen Italien zu wenden wären. Vor allem wäre anzustreben, diese Kräfte in so reichem Masse freizumachen, dass damit eine großzügige Offensive gegen Italien einsetzen könnte; diese gedacht als mächtiger Stoß aus Südtirol und vom Isonzo aus, begleitet durch aktive Aktionen zwischen diesen 2 Fronten, beziehungsweise durch ein Vorgehen auch in diesem Gebiet. Bis zu welchen Maße dies durchführbar ist, hängt natürlich von dem Maße der verfügbaren Kräfte ab, dann von der Möglichkeit, sie rasch bereitzustellen und zu erhalten. - Jedenfalls wäre aber zu trachten, nur k.u.k. Truppen hiezu zu verwenden, diese daher durch Tausch mit deutschen freizumachen, sofern dies nötig erschiene. Ich halte dies für geboten, weil ich, den Geist der in Tirol kämpfenden Truppen kennend, überzeugt bin, dass diese braven Truppen es als Kränkung empfinden würden, wenn man sie an eine alles für sich in Anspruch nehmende - deutsche Hilfe binden würde. - Außer vom Standpunkt der eigenen großen Offensive muss ich die vorliegende Frage der Rückwirkung der russischen Vorgänge auf den mir unterstehenden Befehlsbereich auch noch von folgendem Gesichtspunkt aus erwägen: Wenn für die Ententemächte die Gefahr eines russischen Friedensschlusses herannaht oder eintritt, ist es möglich, dass sich dieselben (außer Russland) zu einem rasch zu beginnenden großen Schlag entschließen, um diesen zu führen, ehe wir und Deutschland Kräfte vom russischen Kriegsschauplatz auf die westlichen Kriegsschauplätze zu bringen vermögen. Dies würde für uns die bereits lange erwartete und auch weitgehend vorbereitete Offensive Italiens betreffen. Bei der dermaligen nummerischen Überlegenheit Italiens würde diese Offensive zweifellos nicht nur am Isonzo, sondern auch gegen Tirol geführt werden; der Hauptangriff gegen letzteres im Raum Val Sugana - Etschtal - also gegen die 11. Armee gerichtet, wäre gewiss auch von Angriffen in anderen Gebieten begleitet, so vornehmlich von einem feindlichen Vorgehen gegen das Fleims- und Pustertal. Die unbedingte Notwendigkeit diese Angriffe abzuweisen, gebietet es, wie noch später eingehend dargelegt wird, auf Kosten, der russischen Front jene gegen Italien zu verstärken und besonders Kräfte der Tiroler Front zuzuführen, deren überaus lange Erstreckung es unmöglich macht, zurecht zu kommen, wenn der Gegner an einer Stelle Kräfte konzentriert und zum Stoß übergeht. (Folgt die Forderung nach einer Heeresgruppenreserve). Italien sieht das Ende des Krieges herannahen, ohne außer der Besetzung Valonas irgendeines seiner großen, sogenannten nationalen Ziele erreicht zu haben. Es liegt daher nahe, dass es diese letzte Spanne Zeit benützen wird, um diese Ziele, oder wenigstens eines derselben zu erreichen. Dies lässt daher gleichfalls die Offensive Italiens ehestens gewärtigen; somit den Stoß am Isonzo und den auf den Besitz Südtirols abzielenden Angriff auf Tirol. (Folgt eine eingehende Darlegung des Kräfteverhältnisses an den einzelnen Frontteilen). Es war, so lange die große russische Gefahr drohte, kaum möglich, mehr Kräfte auf dem südwestlichen Kriegsschauplatz zu vereinigen; letzterer musste daher leider zurücktreten. Die jüngsten Ereignisse in Russland haben aber einen Wechsel in diesen Verhältnissen gebracht; unsere Interessen gegenüber Italien treten in den Vordergrund und die russischen Zustände geben die Möglichkeit, dem Rechnung zu tragen. An der italienischen Front ist die am Isonzo stehende 5. Armee reichlich mit Truppen, Artillerie und Munition dotiert. Bei der Kürze und Gestaltung der Isonzofront sind überdies die Räume, in welchen entscheidende feindliche Stöße erfolgen können, enge begrenzt und klar ausgesprochen. Anders an der Tiroler Front. - Ich resümiere: Die russischen Zustände stellen unsere Interessen gegenüber Italien in den Vordergrund; sie bieten aber auch die Möglichkeit, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Es erscheint geboten, die große Offensive gegen Italien anzubahnen, mindestens aber alles vorzusehen, um den zu gewärtigenden italienischen Angriff am Isonzo und gegen Tirol mit Sicherheit abzuweisen. Die Südwestfront ist daher auf Kosten der russischen Front zu verstärken und zwar vor allem in Tirol aus den angeführten Gründen. Außer den hiefür erforderlichen Truppen bedarf Tirol auch einer erheblichen Verstärkung an Minenwerfern und Artillerie.“ - Das Kommando der Südwestfront sagt dazu: „Feldmarschall Freiherr von Conrad legt eine Studie vor, die in dem Antrage gipfelt, aus den russischen Wirren kräftige, militärische Folgerungen zu ziehen. Wiewohl ich den äußerst verlockenden, im Übrigen naheliegenden Erwägungen im Großen und Ganzen aus voller Überzeugung beipflichte, fühle ich mich in Ermangelung der nur den beiden Heeresleitungen im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehenden Grundlagen nicht berufen, der Frage von meinem Standpunkte nahezutreten. Die angedeutete Möglichkeit, dass Italien im Bestreben einer drohenden Verstärkung der Südwestfront zuvorzukommen, früher loszuschlagen trachten wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich halte es aber in Übereinstimmung mit dem AOK für wenig wahrscheinlich, dass feindlicherseits eine gleichzeitige Offensive gegen die Isonzo- und gegen die Tiroler Front unternommen wird, weil im Gebirge infolge der abnormen Schneeverhältnisse derzeit Aktionen großen Stiles geringe Aussicht auf Erfolg hätten und es überhaupt Italien an der für 2 großzügige Angriffsoperationen notwendigen mittleren und schweren Artillerie und vielleicht auch an Munition gebricht.“ - Aus dem ganzen Antrag Conrads spricht das sichere und wahrscheinlich richtige Gefühl dieses Mannes, dass jetzt die Zeit zum Handeln gekommen ist, die nicht versäumt werden darf. Hier soll das Ganze einfach ad acta gelegt werden; ich hoffe aber, mit Ruhe und Vorsicht das Ganze dennoch in einigen Tagen in Schwung bringen zu können.

Gestern nachts an der Front der 5. Armee wieder zahlreiche kleinere, durchwegs erfolgreiche Unternehmungen. Heute schlechtes Wetter, das jeder wesentlichen Gefechtstätigkeit ein Ende macht.

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