Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
06.04.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
6.4.1917

Lese heute früh einen Bericht über Haltung und Kampfwert der im Gefecht von Tobol beteiligten russischen Truppen. Darnach hat sich der Russe nicht wesentlich schlechter als bisher geschlagen. Am Kampf haben 20 russische Bataillone mit 13.500 Mann teilgenommen. Die hohe Gefangenenzahl ist mehr dem planmäßigen Zusammenwirken unserer Angriffsmittel und der „Vergasung“ der feindlichen Artillerie zuzuschreiben. (Muss erneuert darauf dringen, dass die Ausrüstung der 5. Armee mit Gasgranaten vervollständigt wird) „Das Gefecht bei Tobol hat neuerdings gezeigt, dass es noch dauern wird, bis das Nachlassen der Disposition und die Zersetzung in der russischen Armee größeren Umfang annimmt. Mannschaft und Offiziere sind im Allgemeinen mit der Neuordnung der Dinge einverstanden. Die Offiziere verurteilen bloß das Eingreifen der neuen Regierung in das innere Gefüge der Armee. Mit einer reaktionären Gegenrevolution rechnen die gefangenen Offiziere nicht. Aus allem geht hervor, dass sich der Russe nach wie vor in der Verteidigung schlägt, der Truppe indessen der Angriffsgeist und ein - auch kritische Lagen überdauerndes - Gefüge nicht mehr innewohnt.“

Waldstätten hat neuerdings befohlen, dass die Schlagfertigkeitsberichte der 5. Armee und von Tirol dem General von Cramon zur Einsicht gegeben werden. Nun mir kann's recht sein, dass eine Erfahrung von 3 Jahren nicht berücksichtigt wird.

Kageneck kommt vormittags wieder zu einem längeren Speech, nach geraumer Zeit. Er geht um die Offensive gegen Italien wie die Katze um den heißen Brei herum; sein Hauptzweck scheint aber zu sein, von mir zu erfahren, wie ich über die innere Revolution bei uns denke. Er meint Czernin habe große Angst davor. Die Hauptthese dieses Staatsmannes sei, man dürfe es nicht zugeben, dass die „rote Welle“, die jetzt über die ganze Welt geht, den Frieden bringe; die Völker müssten diesen vielmehr von den Monarchen empfangen. Ich sage ihm meine offizielle Ansicht; man dürfe natürlich keine Angst zeigen, müsse aber für alle Fälle bereit sein. Kageneck verschnappt sich übrigens und meint, es bestehe in politischen Kreisen (das heißt bei Czernin) auch eine gewisse Angst vor einem gelingenden Schlag gegen Italien, weil dieser den Sturz des Königthrones mit sich bringen könne und die Mittelmächte dann auf einmal ganz von Republiken umgeben wären. Jedenfalls ist mir eines sicher: Der einzige Mann, den wir hatten, Conrad, fehlt jetzt. Die Dinge werden ihren eigenen Lauf gehen, wenn niemand sie meistert; und die Kartenhäuser der Popularität, mit denen Schmeichlernaturen den jungen Kaiser umgeben, werden in ernster Lage ins wohlverdiente Nichts zusammensinken.

Die Anforderung einer Infanteriebrigade oder doch von 5 - 6 Bataillonen für Tirol an Hindenburg wurde genehmigt, ja man kann jetzt nicht genug für die Entscheidung tun. Mir fielen heute auch zwei Kundschafternachrichten auf, die auf einen italienischen Angriff an der Isonzofront bald nach Ostern (heute ist Karfreitag!) hindeuten. Von der Front sind bisher keine Anzeichen dafür gemeldet worden; allerdings war die Witterung der letzten Zeit der Artillerie-, Minenwerfer- und Fliegertätigkeit im allgemeinen nicht sehr günstig.

Abends erzählen die Deutschen, dass es im Westen (bei Reims) losgegangen sei. Umso mehr muss man auf einen baldigen Beginn der italienischen Offensive gefasst sein. - über die deutsche Westfront wissen wir leider wenig.

Was die Gesamtlage betrifft, habe ich noch immer den Eindruck, dass man die russische Revolution nicht genügend ausgenützt hat, um den Entschluss zu fassen, an der einzigen Front, wo überhaupt noch ein größerer positiver Erfolg zu erringen ist, gegen Italien, zu schlagen. Es vergeht aber Tag um Tag, Woche um Woche, - und eigentlich geschieht nichts. Andererseits liegt es aber doch vollkommen klar auf der Hand, dass wir - und zwar in Deutschland und Österreich-Ungarn - einen positiven militärischen Erfolg brauchen werden; sonst spannen die Völker aus!

Am 2.4. eine interessante Carlottidepesche: „Von Kundschaftern des französischen Generalstabes wird gemeldet, dass das österreichische Kommando in Südtirol eiligst Vorbereitungen für eine Offensive trifft, an den Operationen sollen auch deutsche Gruppen teilnehmen. Die Offensive soll jedoch erst einsetzen, bis die italienische Offensive in ihren Umrissen hervortritt.“

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