Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
30.06.1918
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
30.6.1918

Um ½ 3 Uhr früh wieder Flieger Besuch, heftiges MG. Feuer, aber kein Bombenabwurf. Der Rummel dauert ungefähr 1 Stunde. Wir alle werden froh sein, wenn wieder Neumond oder schlechtes Wetter ist, man kann jetzt keine Nacht schlafen.

Vormittags Fahrt zur 10.Armee, um dort wegen der jetzigen Lage, insbesonders aber der Standesverhältnisse der 159.IBrig. und des Arbeitermangels Vorstellungen zu erheben. Ich erfahre dabei folgendes: Es ist beabsichtigt Kräfte und zwar sowohl ganze Divisionen als auch Artillerie, Sappeure und Arbeiter an die Westfront abzugeben. Von unseren Divisionen sollen aber schon nicht weniger als 21 nicht an der Front sein, 12 davon in der Ukraine, die anderen im Hinterland; speziell in Bosnien erwartet man einen Aufstand, weil dort die südslawische Propaganda sehr um sich gegriffen hat. Die einzig richtige Absicht, sich unter diesen Verhältnissen an der Südwestfront auf eine solide Verteidigung einzurichten, scheint aber nicht zu bestehen; vielmehr trifft man Vorbereitungen für einen Stoß vom Ostflügel der 11. Armee aus (Col Moschin, Wegnahme der Grappa?).

Beim Kaiser machen sich die verschiedensten Einflüsse geltend; alle möglichen Leute operieren mit. Dabei sind wir faktisch ganz in der Hand der Deutschen. Diese geben uns nur Lebensmittel, wenn wir Truppen und Arbeiter beistellen.

Erwogen wurde auch ein Stoß im Etschtal; das 10.AK. hat dafür 9 Divisionen und eine sehr zahlreiche Artillerie verlangt. Das alles ist aber nicht zu haben. Nun muss die 10.Armee große Abgaben leisten. Vom XXI. wird die 19.Division aus der Front gezogen und durch die 3.K.D. abgelöst; auch die 22.Sch.D. soll abgehen. Dabei sind aber die Angriffsabsichten am Tonale noch nicht radikal aufgegeben; Metzger will vielmehr fordern, dass wir die früheren Stellungen zurücknehmen, weil die jetzige Lage unhaltbar sei. In der Arbeiterfrage steht eine furchtbare Krise bevor; bis zum Herbst müssen alle, in der nächsten Zeit schon 5.000 Russen abgegeben werden. - Die 10. Armee verfügt auch nicht über ein einziges Bataillon Reserve. Wir haben daher hier nichts zu erwarten. Natürlich ließ ich Domaschnian nicht im Zweifel, was das bei einem feindlichen Angriff und für die Wintervorbereitungen zu bedeuten habe. Alles in allem keine rosigen Perspektiven; wenn es die Deutschen nicht machen und zwar schnell, ist die Partie kaum mehr zu gewinnen. Noch eines: Unsere Verluste betragen im ganzen 150.000 Mann; bei der 11. Armee allein 45.000. Scheuchenstuel soll im Abgehen sein; Böhm ist bereits in Trient eingetroffen. - Ich habe Domaschnian deutlich vorgetragen, dass es jetzt darauf ankommt, jedes Operieren einzustellen und sich an der ganzen Front auf eine solide Verteidigung einzurichten; denn es ist ganz klar, dass die Initiative (wie das bei uns genannt wird) nun beim Gegner ist.

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