Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
24.01.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
24.1.1917

Vormittags 9 Uhr gehe ich, wie vereinbart, zu Bienerth, um mich bei Klepsch, der heute nachts angekommen ist, zu melden. Finde aber Bienerth noch in den ersten Anfängen seiner Toilette, Klepsch schläft noch. Meine kurze Anwesenheit genügt schon, um mir über die Tätigkeit unserer beiden Vertreter hier ein Urteil bilden zu können. Sie scheinen sich überhaupt nur mit Personalien und Formalitäten zu befassen. Diese nehmen naturgemäß einen breiten Raum ein; aber aufzugehen braucht man darin nicht. Es kann ja auch sein, dass es an noch 1 - 2 Leuten, besonders aber an einem Schreiber fehlt; man denke nur an die Stärke unserer deutschen Mission! Die Beiden, die wir hier haben, sind aber für das ganze Geschäft trotz ihrer hohen Herkunft, oder vielleicht gerade wegen derselben, nicht geeignet. Schon die Kanzlei! Die ist nämlich in der Wohnung! Soweit ich sehe, kommen sie mit dem Generalstab überhaupt nur beim Essen in Berührung. Da vermeiden es aber die Deutschen geflissentlich, über operative Dinge zu sprechen. Wenn es Ludendorff gestern mir gegenüber tat, so ist das natürlich etwas anderes; er wollte sich über eine ihm fernliegende Sache unterrichten. - Um 10 Uhr erscheint Klepsch. Er teilt uns mit, dass unser Kaiser und Conrad am 25. um 9 Uhr vormittags ankommen. Klepsch tut über meine Sache sehr orientiert; ich lasse mir aber nicht imponieren. Um 11 Uhr, als ich gerade weggehen will, erfahre ich, dass ich für heute ¾ 1 Uhr zur Meldung und dann zum Frühstück beim Kaiser befohlen bin. Gehe daher mich „behängen“; Klepsch begleitet mich und erzählt mir auf einem Umweg durch den Park allesmögliche. Tenor: 1) Dass man auf Auslandsposten stets fein gebildete Offiziere braucht (das Wort „Herkunft“ wiederholt sich des öfteren). 2) Dass er hier alles wisse und dass es ganz unrichtig sei, dass er von der Operationsabteilung so gar nicht als Vermittler benützt werde. 3) Dass er als Erster und zwar schon nach einer Woche Falkenhayn richtig gekannt und Conrad und Metzger entsprechend informiert habe. Jetzt - so bestätigt auch er - habe sich das Regime vollständig geändert; jetzt beruhe alles auf gegenseitigem Vertrauen (!) - ich denke mir meinen Teil - und bin begierig, was der heutige Tag zur Sache bringt. Auch darüber spricht sich Klepsch aus und prophezeit ein klares nein, und zwar weil die Deutschen zu wenig Reserven haben und zu besorgt um die anderen Fronten sein würden. Nun, wir werden ja sehen. Ich glaube aus der Aufnahme, die ich bisher hier gefunden habe, eher schließen zu können, dass die Denkschrift zumindest eine gute Aufnahme gefunden hat.

Also ¾ 1 Uhr programmgemäß Meldung beim Deutschen Kaiser. Vor mir die Präsidenten der 5 Oberhäuser. Kaiser ist natürlich über meine Mission orientiert. - Spricht sehr freundlich aber kurz mit mir. Erkundigt sich über die Wetterverhältnisse im Südwesten und speziell über die Störungen der Brennerbahn weil er hörte, dass unser Kaiser beinahe durch eine Lawine verunglückt wäre. Beim darauffolgenden Essen im kaiserlichen Schloss sitze ich neben dem Chef des Kaiserlichen Zivilkabinetts von Valentini; links von mir Major von Frahnert. Habe übrigens die Sitzliste aufgehoben. Valentini spricht naturgemäß, wie alle Herren, als Gesprächsanknüpfung über Baden; dann kommt er auf den jungen Kaiser zu sprechen und sagt, man rühme ihm eine sehr ernste Auffassung seiner Berufspflichten und großen Fleiß nach; es bleibt aber noch abzuwarten, ob er die notwendige feste Hand besitzen wird.

Gesellschaft und Essen so wie bei uns, alles um einige Töne ernster. Nach dem Essen sprachen General der Infanterie von Lyncker und Plessen (Generaloberst) mit mir. Beides sehr nette, freundliche Herren, wenn man sie näher kennen lernt. Lyncker bedauerte es sehr, dass jetzt die beiden Hauptquartiere soweit räumlich getrennt seien; es sei viel besser, ja geradezu notwendig, dass man öfters miteinander spreche und einander dabei fest in die Augen sehe (was Lyncker hiemit mir gegenüber gründlich tat!) Ludendorff befiehlt mich sodann für 5 Uhr zu einer Besprechung. Er sagt mir, er erwarte eine große Schlacht anfangs März. Daher werde man sich heute noch nicht binden. können. Auch seien so viele Kräfte, wie wir fordern, kaum verfügbar. Tolmein scheint den Deutschen recht sympathisch zu sein; darüber wird vermutlich auch gesprochen werden; wahrscheinlich wollen sie es aber auch mit weniger Kräften fertigbringen. Ich bemerke zur Zahl der Divisionen, dass ja eventuell die 3 für Ablösungen Bestimmten wegfallen könnten; weiters betone ich, dass ja - wie auch in der Denkschrift ausdrücklich gesagt wird - der Entschluss nicht jetzt gefasst werden muss. Es soll nur gesagt werden, ob eine Offensive gegen Italien im Frühjahr möglich sei oder ganz außerhalb jeder Möglichkeit falle. Auch dies wegen der besonderen Art der Vorbereitungen. Ludendorff deutet daraufhin nochmals an, dass eine bindende Zusage, die man dann vielleicht nicht halten könnte, nicht gemacht werden kann.

Also um 5 Uhr Besprechung bei Major Wetzel (hiesiger 1 a).

Ergebnis dieser Besprechung: Die Deutschen sind mit den Grundgedanken der Durchführung einer Offensive gegen Italien vollkommen einverstanden. Sie erwarten aber schon im Februar große Kämpfe im Westen, falls das Wetter günstig wird, sonst spätestens im März. Vom Verlauf dieser Kämpfe wird es abhängen, wann und wie viele deutsche Kräfte frei werden. Sollte man bald erkennen, dass die Franzosen und Engländer wieder nichts weiter als einigen Raumgewinn erzielen, so kann ja mit dem Freiwerden einer größeren Zahl von Divisionen gerechnet werden; heute lasse sich aber noch nichts Bestimmtes sagen. Major Wetzel sagt, im besten Falle (später korrigiert er sich etwas, und meint: mindestens) könne auf 12 deutsche Divisionen gerechnet werden. Von diesen sollten aber nicht so viele an die Isonzofront, dafür mehr nach Tirol gehen. Auf die Ablösung der 3 vom Nordosten heranzuziehenden ITD wird es nicht anzukommen brauchen, dafür wird man schon sorgen. Nach Tirol würden nicht 6 sondern 8 deutsche Divisionen zu führen sein. Davon müssten mindestens 2 in erster Linie, beim Stoß, mitkämpfen. Das sei man der deutschen Armee unbedingt schuldig. Wie vorgeschlagen würde auch ein deutsches Armeekommando mitkommen; das jetzige Heeresgruppenkommando könne aber bleiben. Auch hebt Wetzel unaufgefordert hervor, dass unser AOK führen werde. - Was die küstenländische Front betrifft, besteht deutscherseits die Auffassung, dass dort weniger Kräfte genügen würden, weil ja Conrad selbst sagt, es sei dort kein entscheidender, sondern nur ein Einleitungsangriff zu führen. Man will dorthin nicht 7 sondern nur 4 deutsche Divisionen bringen, dafür sollten auch nicht so viele, als in der Denkschrift angenommen, also nicht 4 sondern vielleicht bloß 2 - 3 österreichisch-ungarische Divisionen ausgelöst werden. Auch das könnte ja auf Schwierigkeiten stoßen, wenn die Italiener, wie doch zu erwarten ist, ungefähr gleichzeitig mit der französischen Offensive einen starken Angriff gegen die Isonzofront fuhren würden. Man denke übrigens daran, zur Demonstration an der Isonzofront deutsche Truppen zu zeigen, die dann wieder wegfahren. Auch sei - schon aus Demonstrationsgründen - ein deutsches Heeresgruppenkommando erwünscht. Weiters fragt Wetzel nach Artilleriebedarf. Ich nenne ihm die Grundziffern (Tirol 800 leichte, 260 schwere Geschütze von den Deutschen; dabei schon gerechnet, dass wir von der Isonzofront und Nordost Front schwere Artillerie herausziehen.) Die Forderungen an schwerer Artillerie, auch für Tolmein, erschrecken die Deutschen gar nicht; dagegen sagen sie, mit der leichten Artillerie werde es sich spießen, man werde aber vielleicht auch nicht soviel brauchen. Bin in diesem Punkt nachgiebig und streite auch nicht um die eine Division herum, die uns eigentlich gegenüber unserer Forderung fehlt. Dagegen lehne ich es selbstverständlich ab, mich über die Frage der Zusammensetzung der Stoßgruppe aus österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen zu äußern. Major Wetzel betont, dass die ganze Unterredung selbstverständlich keine bindende sei, sondern nur informativen Charakter habe. Die gegenwärtig wichtigste Frage, ob die Vorbereitungen in dem von uns angegebenen Masse im Februar zu beginnen hätten, würde jedenfalls zwischen den beiden Marschällen geklärt werden. Schließlich informiere ich Wetzel über Detailsituationen, Stellungen u.s.w. und gebe ihm auch einige Karten. - Abends wieder bei Hindenburg und Ludendorff. Letzterer sagt mir, Wetzel habe ihm bereits referiert; er habe nichts mehr beizufügen, ich könne daher abreisen. Abends wieder sehr nett; das ganze Milieu hat echten patriarchalischen Charakter. Ich hielte aber die schweren Weine und das viele Bier nicht auf die Dauer aus! - Abfahrt von Pless ½ 12 Uhr nachts, dann in Gesellschaft des bayrischen Generals Köberle im Schlafwagen Fahrt nach Wien. Noch nachtragen: Bei der Besprechung mit Wetzel war Hauptmann Bulcke anwesend, der auch protokollartige Notizen machte. - Mein Gesamteindruck: Die Deutschen sind mit unserem Plan ganz einverstanden, erkennen die Richtigkeit der Gedanken an, werden aber bestrebt sein, das Ganze wieder so darzustellen, als ob sie es gemacht hätten. Dazu genügt ja, wenn sie am Isonzo erscheinen und nun auch in Tirol schon beim Stoß mitwirken. Sie betonten daher auch wiederholt, dass sie nun vorzügliche Gebirgstruppen auch außer dem Alpenkorps besitzen.

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