Einleitung

Der Traum von 1914 war 1918 zu einem radikalen Ende gekommen, alle jemals gehegten Hoffnungen, Sehnsüchte und Erwartungen waren begraben. Millionen von Toten und Verwundeten, der Zerfall des über Jahrhunderte gewachsenen multinationalen Reiches, die Verwüstung der Länder und der Seelen, die Verelendung des Daseins: Der totale Krieg war zur totalen Katastrophe mutiert. Bereits wenige Monate nach dessen Beginn hatte Julius Deutsch – erster Heeresminister der Republik, der in den letzten Kriegsmonaten eine konspirative Organisation innerhalb der Armee anführte – eine bemerkenswerte Schlussfolgerung gezogen: Wohl könne niemand vorhersagen, welche Wirkungen die noch zu erwartenden Kriegsereignisse tatsächlich hätten, „riesenhafte Umwälzungen“ der gesellschaftlichen Verhältnisse seien dennoch Gewissheit. Der Krieg habe in furchtbarer Erfahrung tausenden und abertausenden Menschen die Notwendigkeiten planmäßigen, organisierten Handelns klar werden lassen. Die Erfahrungen jener, die im Feld gestanden seien, würden ihre Anwendung auf die sozialen Kämpfe der Nachkriegszeit finden. 

In einer Atmosphäre der Verzweiflung und Empörung und sicherlich auch des latenten Rachegefühls vollzog sich dann, in den Umbruchsjahren 1918/1919, der Eintritt der Massen in die Geschichte – mitgerissen von einem utopischen Vorschein, dem augenscheinlich so greifbaren Versprechen auf eine bessere Welt. Althergebrachte Welt- und Gottesordnungen wurden gestürzt, Jahrhunderte währende Reiche und Dynastien abgeschafft, soziale Ordnungen neu definiert. In diesem Prozess werden ungeheure soziale und politische Energien freisetzt, begleitet von einem intellektuellen wie künstlerischen Aufbruch sondergleichen. Zugleich aber kündigt sich im Schatten des kollektiven europäischen Traumas auch erneutes Unheil an: Militarisierung der Politik, totalitäre Diktaturen, autokratische Führergesellschaften. In diesem gewaltigen Spannungsfeld agieren Persönlichkeiten, die prägende Erfahrungen in den Schützengräben und Gefangenenlagern des Ersten Weltkrieges gemacht haben und die ein entsprechendes Welt- und Gesellschaftsbild auf die Politik der Zwischenkriegszeit übertragen: Otto Bauer, Julius Deutsch, Theodor Körner auf der Linken, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg auf der Rechten. Vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise der neueren Geschichte und ihrer fatalen sozialen wie kulturellen Folgewirkungen werden diese Akteure spätestens ab den frühen 1930er Jahren in einen unauflöslichen Gegensatz geraten, der 1933/34 das Ende der Demokratie in Österreich nach sich zieht.

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