Anfang Juli 1916 unterbreitete der damalige k. u. k. Gesandte in Rumänien, Ottokar Graf Czernin, seinem Außenminister Burián „eine kurze Aufzeichnung“ – wie er es nannte –, die er diesen zur Kenntnis zu nehmen bat, auch wenn sie streng genommen den Rahmen seiner pflichtgemäßen Berichterstattung überschreite. In dieser Denkschrift mit dem Titel „Gedanken über die Beendigung des Krieges“ sprach Czernin von der bald absehbaren Erschöpfung der Kräfte und Mittel der Donaumonarchie und Deutschlands, die in Anbetracht der überlegenen Ressourcen an Menschen und Material auf Seiten der Ententemächte bei einer weiteren jahrelangen Fortsetzung des Krieges „mit mathematischer Gewissheit“ die völlige Niederlage der Zentralmächte und ihrer Verbündeten nach sich ziehen müsste. Er plädierte daher für eine Beendigung des Krieges unter Inkaufnahme der bisherigen Opfer und unter Verzicht auf jegliche Gebietszuwächse, also auf Basis des territorialen Status quo bei Ausbruch des Krieges. Nicht lange darauf sollten diese hellsichtigen Gedanken in ihrer Richtigkeit noch bestätigt werden durch die – auch vom Gesandten Czernin nicht abzuwendende – Kriegserklärung des bis dahin neutralen Rumänien an die Donaumonarchie (27. August 1916), die einen weiteren Feind und den Ausfall wichtiger Lebensmittellieferungen ins Hinterland bedeutete.
Seitens des Wiener Ballhausplatzes und auch des ungarischen Ministerpräsidenten, dem Czernin seine Pläne ebenfalls vorlegte, tat man seine Auffassung als zu pessimistisch ab. Am 6. August 1916 sandte Czernin eine Kopie des Memorandums auch an seinen „lieben Freund“ Leopold Grafen Berchtold, zwischen 1912 und 1915 selbst k. u. k. Außenminister und nunmehr Obersthofmeister und politischer Berater des Thronfolgers Erzherzog Karl, zur gefälligen Weiterleitung an seinen Herrn.
Schon im Herbst desselben Jahres erwies sich die Linie Czernins plötzlich als höchst aktuell und gefragt, als mit dem Tod Kaiser Franz Josephs (21. November 1916) und dem Regierungsantritt Karls die große Wende in der österreichischen Politik hin zum Bemühen um einen Verständigungsfrieden eintrat. Kaiser Karl machte Czernin am 22. Dezember 1916 zu seinem neuen Außenminister.
Ottokar Czernins Denkschrift „Gedanken über die Beendigung des Krieges“ (Beilage zum Schreiben an Berchtold)
Ottokar Czernins Denkschrift „Gedanken über die Beendigung des Krieges“ (Beilage zum Schreiben an Berchtold)
HHStA, SB NL Berchtold 7