Grenzziehung St. Germain

Schon während des Ersten Weltkrieges hatte es österreichischerseits mehrere Versuche gegeben, durch territoriale Zugeständnisse zu einem akzeptablen Frieden zu gelangen, der letzlich die Umwandlung Zentraleuropas zu einem Staatenbund vorgesehen hätte - Bestrebungen, die besonders von Österreichs Kaiser Karl I. betrieben, von den Kriegsparteien aller beteiligten Nationen aber vereitelt wurden. Das sogenannte „14 Punkte-Programm“ des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom Jänner 1918, aber auch seine sonstigen Äußerungen zum „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, ließen wiederum aufhorchen und nährten in der Zeit des militärisch-wirtschaftlichen Zusammenbruches der Mittelmächte bei den konstitutionell-föderalistischen Kräften Österreichs neue Hoffnungen: Dass von einem Staatenbund, einer Art mitteleuropäischer Föderation, wie Kaiser Karl noch im Oktober 1918 vorgeschlagen hatte, nicht mehr die Rede sein konnte, wurde schon durch die Besetzungspolitik der Sieger und der sich auf dem Boden der Monarchie etablierenden Nationalstaatenevident. Doch die Zeit vom Waffenstillstand im November 1918 bis zum Friedensvertrag im September 1919 hätte unter Zugrundelegung des genannten Selbstbestimmungsrechtes noch die Revision einer Annexionspolitik ermöglichen können, die mit dem Bajonett und nicht mit dem Stimmzettel neue Verhältnisse in Europa schaffen wollte.

Nach den Beschlüssen der provisorischen Nationalversammlung von 1918 bestand die Republik „Deutsch Österreich“ aus dem geschlossenen deutschen Sprachgebiet der Alpen- und Sudetenländer; dies inkludierte jedoch den südlichen, westlichen und nördlichen Rand der Ländergruppe Böhmen-Mähren-Schlesien und somit einen territorial schmalen Bogen, der von Restösterreich kaum hätte gehalten werden können. Diese Überlegungen bildeten einen der Gründe, warum Österreichs Parlamentarier am 12. November 1918 Österreich als Bestandteil der Deutschen Republik erklärten: Nur eine Verbindung mit Deutschland, so dachte man, könnte den Sudetendeutschen eine gewisse ethnische Eigenart gegenüber den Tschechen garantieren; darüber hinaus kursierte die Frage: Wenn Österreich nach dem Willen der Sieger schon zu einem rein deutschen Staat degradiert wurde, warum sollte dieser dann (etwa im Unterschied zu Bayern) neben dem Deutschen Reich bestehen?

Aber die neugeschaffenen vollendeten Tatsachen ließen ein derartiges Raisonnieren nicht zu: Obwohl neue Grenzen noch nicht feststehen konnten, wurden österreichfreundliche Kundgebungen am 4. März 1919 in Eger durch die tschechische Exekutive blutig unterdrückt, ähnliches ereignete sich im untersteirischen, nun von den Jugoslawen besetzt gehaltenen Marburg. Die Italiener wiederum marschierten bis Innsbruck, blockierten den Brenner und begannen systematisch, Südtirol ihrem Staat einzuverleiben.

War die Untersteiermark von Anfang an Jugoslawien verloren, so ermöglichten die militärischen Erfolge der Kärntner Bevölkerung gegen die Jugoslawische Armee schließlich die Durchführung einer Volksabstimmung, die dann - dank der pro-österreichischen Einstellung der slowenischen Volksgruppe - zu einem überragenden Bekenntnis zum österreichischen Staat führte. Dass auch ein Großteil des Burgenlandes mit Österreich vereint werden konnte, liegt letztlich in der Tatsache begründet, dass Ungarn ebenfalls als Kriegsverlierer galt und als solcher auf zwei Drittel seines Staatsgebietes verzichten musste.

Grenzziehung Österreich nach den Friedensbedingungen von St. Germain

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