Einleitung

Am Ende stand die Auflösung jener enormen Suggestivkraft, vermittels derer der militärische Mechanismus Offiziere und Mannschaften in seiner Gewalt zu halten imstande ist. Nach vierjährigem Krieg, der an Vernichtung und Grausamkeit alles bisher je Dagewesene überboten hatte, ließ die Zersetzung der Disziplin das einst so gewaltige Herrschaftsinstrument der Vielvölkerarmee zerbrechen. Mit ihr ist die habsburgische Doppelmonarchie untergegangen.

Noch hielt man Stellungen am Piave, noch waren weite Gebiete in Polen und der Ukraine, in Serbien und Rumänien, in Montenegro und Albanien besetzt. Doch mehrten sich die Symptome fortschreitender Erschöpfung und Auszehrung. Der Nachschub an Mensch und Munition war versiegt, eine hinreichende Ernährung der Truppen konnte nicht mehr gewährleistet werden, die Monturen waren größtenteils zu Fetzen verkommen. Der Hunger führte zu Aktionsunfähigkeit, Desertion wurde zum Massenphänomen. Noch im Juni 1918 hatte diese Armee in Italien eine Offensive unternommen, die, um den Preis fürchterlicher Opfer, nichts erbracht hatte als den Nachweis der sich vollziehenden Auflösung. Im fünften Weltkriegsherbst kam es dann zu einem in der Kriegsgeschichte kaum vergleichbaren Akt der kollektiven Verweigerung: Unter Missachtung der Befehle verließen die Truppen massenhaft ihre Stellungen und setzten sich in chaotischer Unordnung in Richtung ihrer jeweiligen Heimat ab. Militärische Niederlage, Demobilisierung, soziale wie nationale Revolution gingen ineinander über.

Er habe, schrieb der russische Emigrant Leo Trotzki, als er vier Jahre zuvor die zum Ruhme Habsburgs auf der Ringstraße demonstrierenden Massen beobachtete, jene Momente wiedergefunden, die er von den Petersburger Ereignissen 1905 her kannte: „Ist doch der Krieg in der Geschichte häufig der Vater der Revolution gewesen.“ Und in der Tat erwuchsen nunmehr aus den Verwerfungen und Verwüstungen des Großen Krieges revolutionäre Umwälzungen, die de facto alle Aspekte der menschlichen Existenz betreffen sollten: Das republikanisch-demokratische Ideal und das nationalstaatliche Prinzip triumphieren, und über die Versuche einer Realisierung politischer Utopien von verallgemeinerter Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit vollzieht sich der endgültige Eintritt der Massen in die Geschichte. Technik und Technologie durchlaufen, angestoßen von den fieberhaften Bemühungen aller Seiten während des Krieges, fundamentale Entwicklungsschritte. Kunst, Kultur, intellektuelle Reflexion erleben einen Aufbruch sondergleichen. Doch zugleich zeichnet sich am Horizont bereits auch ein Anderes, Bedrohliches, Abgründiges ab: Autoritarismus, Totalitarismus, Diktatur und erneute globale Vernichtung.

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