Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
28.10.1918
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
28.10.1918

Vormittags viel Arbeit mit diversen Befehlen, die sich auf die jetzige Lage beziehen. Truppenverschiebungen ergeben große Schwierigkeiten.

Nachmittags lässt mir General Domaschnian sagen, ich solle mich bereit halten, jeden Augenblick abgehen zu können. Schon früher wurde ich orientiert, dass die Kenntnis der italienischen Sprache keine so große Rolle spiele; es handle sich hauptsächlich um das Generalstabstechnische der Sache. 2 Uhr nachm. bekomme ich den Befehl, mich zu sofortigem Abgehen bereit zu halten, 5 Uhr einen zweiten, noch heute in Trient einzutreffen.

Durch Bachmann erfahre ich unser Waffenstillstandsangebot. Wir nehmen alle Bedingungen an und verlassen Deutschland treulos, wie es die Bulgaren taten. Das also ist das Ende. Um ½ 9 Uhr abends will ich von hier abfahren; schreibe diese Zeilen in der Eile der Übergabe und des Packens.

½ 9 Uhr Abfahrt von Folgaria, 10 Uhr an Armeekommando. Bekomme hier Einsicht in unsere Note an Wilsoh und in den Auftrag des AKs. an die Kommission. Dieser Auftrag gipfelt darin, einen Waffenstillstand zu schließen und dabei alle Bedingungen anzunehmen, die die Ehre unserer Armee nicht berühren und nicht einer Kapitulation gleichkommen. Melde mich bei Exzellenz Weber und frage sofort nach meiner Stellung in Kommission; worauf er sagt: ich sei Kommissionsmitglied. Befehle kriege ich keine, orientiert werde ich nicht. Echt österreichisch. Für morgen ist geplant, dass ein Parlamentär, Hauptmann Ruggiera vorausfährt, von dem Kommen der Kommission Mitteilung macht; wir sollen dann nachmittags bei S.Marco die feindlichen Linien passieren. Zunächst werden wir uns um 9 Uhr vormittags von Trient nach Rovereto begeben; als Verhandlungsort wird Ala vorgeschlagen.

 

[Spätere Eintragung:] Zum Zusammenbruch führt nach meiner Ansicht die der Wehrmacht ungeachtet der misslungenen Offensive des Frühjahrs 1918 und der stetig wachsenden moralischen, personellen und vor allem materiellen Überlegenheit des Feindes zugemutete Belastungsprobe, den Kampf um eine verlorene Sache mit unzureichenden Kräften und Mitteln bis zur äußersten Anspannung zu führen.

Elend ernährt, schlecht gekleidet, Ablösung und Ruhe entbehrend, im Gefühl zunehmender Wehrlosigkeit gegen das durch keinen Munitionsmangel beschränkte feindliche Feuer, dabei unter dem Einfluss der Zersetzung im Inneren des morschen Staates, waren unsere Truppen im Herbst 1918 zum Großteil reif, einer Verschärfung dieser Faktoren, vor allem aber einer ernsten feindlichen Anstrengung zu unterliegen. Wie aus dieser Auffassung hervorgeht, halte ich die oft gehörte Behauptung, der Zusammenbruch sei vom Hinterland aus erfolgt, nicht für zutreffend. Front und Hinterland waren in diesem Kriege eins; die Entkräftung des Staates und Volkes hat sich auf das Heer übertragen.

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