Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
15.01.1917
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
15.1.1917

Vormittags sagt mir Metzger, dass ich nun die Einleitung zur Denkschrift an die Deutschen entwerfen kann. Will aber noch warten, bis das Referat vom Chef zurückkommt und will wenn möglich auch seine Aufzeichnung benützen. - Beim Nachmittagsrapport gibt mir Metzger das Referat zurück. Am Elaborat selbst, das heißt also zum Wesen der Organisierung der Offensive, hat Conrad nicht viel bemerkt. Zu den „Grundlagen“ meint Chef, der 2. Staffel sei „vornehmlich auch“ zur Sicherung der beiden Flanken der Stoßgruppe und der Westfront von Tirol bestimmt. (Kann dem nicht beipflichten. Der 2. Staffel soll den Stoß vorwärts tragen, nichts anderes). - Aus einer Bemerkung zur Beilage geht hervor (Beilage über Daten für Angriff aus Südtirol und aus dem Raum von Tolmein), dass der Chef gerne einen Stoß in breiterer Front führen würde. („Wenn man die Kräfte hätte, wäre ein Stoß aus breiter Front jedenfalls mehr wert als die Überraschung, die ohnehin sehr fraglich ist. Aber man dürfte diese Kräfte eben leider nicht haben und muss sich aus diesem Grund beschränken.“). Metzger hat dem Referat eine Berechnung der Gesamtkräfte gegen I. nach einem Entwurf beigefügt. Es ergeben sich an der Isonzofront 18, in Kärnten 3, in Tirol 25 (wenn der 2.Staffel nur 6 Divisionen hat: 23), zusammen 46 (44) I.D. gegen 45 I.D., 13 Alpini Gruppen und eventuell 4 neue I.D., zusammen etwa 56 (55) I.D. der Italiener. - Chef hat dem Referat noch eine ziemlich lange Bemerkung operativen Charakters beigelegt, die in dem Auftrag gipfelt, die Operationen aus Tirol und aus dem Raum von Tolmein näher zu bearbeiten und die Kräftegruppierung bei Beginn des Stoßes in einer Generalkarte darzustellen. Wesentlich ist an den ganzen langen Ausführungen, dass der Chef an beiden Flügeln der Stoßgruppe an unterstützenden Angriff denkt. Und zwar am Nordflügel durch das Vanoital auf Canale S.Bovo, am Westflügel wenn möglich über den Pian delle Fugazze! Also wieder die Ausdehnung des Stoßes und ein Zerflattern der Kräfte; kurz der alte Stil des Angriffes. - Weiters hat der Chef eine Skizze „zur Lage anfangs Jänner 1917“ geschrieben. Wesentlichster Gedanke: Aktion großen Stiles im Anschluss an die rumänische und zwar an anderer Front, nicht möglich, da Kräfte erst anfangs April verfügbar; also zu jenem Zeitpunkt, wo auch Entente ihre Kräfte (Russen, Rumänen) retabliert haben werden. Entschließungen der Entente, die in der Konferenz in Rom gefasst wurden, mit allen Mitteln feststellen. Da der Krieg in den Kämpfen dieses Frühjahrs zur Entscheidung drängen wird, ist die äußerste Steigerung der eigenen Maßnahmen für diesen Zeitpunkt erforderlich, also nicht mehr im Sinne einer noch sehr langen Dauer des Krieges; denn fällt der Krieg im Frühjahr zu unseren Ungunsten aus, so ist kaum mehr auf eine Wendung durch jene Kräfte zu rechnen, welche uns überhaupt noch verfügbar bleiben werden. - Erwägung, ob wir Entente - Angriff abwarten oder ihm zuvorkommen sollen. Letzteres gibt die Chance, dem Feind an entscheidender Stelle einen Schlag beizubringen. Dabei darf aber an anderer Front kein Misserfolg eintreten. Unser Erfolg muss für die Gesamtlage entscheidend sein, sonst hat er keinen Wert, sondern wäre nur schädlicher Kräfteverbrauch; denn wir verfügen nur über knappe Kräfte, spielen sozusagen mit den letzten Karten und dürfen nicht riskieren, dass wir gegen einen eigenen Erfolg an nicht entscheidender Stelle einen feindlichen an entscheidender eintauschen. Solche dem Feind sich darbietende entscheidende Stellen sind: Ostgalizien mit dem Ziel Lemberg, und unsere italienische Front „speziell mit dem Ziel Triest und dem Stoß über Laibach, sowie gegen Südtirol“. (?? Letzteres ist doch nicht entscheidend für den Weltkrieg! Die Italiener können bis Bozen kommen - wenn wir wo anders siegen, natürlich!). - Wichtigkeit, rechtzeitig zu erkennen, welche Richtung der Feind wählt. Nach beiden Richtungen alles vorbereiten! - Deutsche Neuformationen (10 preußische, 3 süddeutsche Divisionen, 42 schwere Artillerieregimenter) nach einer Angabe bereits im Februar, nach Mitteilung Hindenburgs aber erst Anfang, vielleicht Mitte April transportbereit. Nach Transportdauer (ziemlich vager Kalkül!) müsste anfangs, längstens Mitte März festgestellt sein, an welcher Stelle die Aktion zu erfolgen hat. Sollten die deutschen Neuformationen aber bereits Ende Februar transportbereit sein, was bei der Deutschen Obersten Heeresleitung festgestellt werden muss, so muss diese Entscheidung schon Ende Jänner fallen. Aussprache wird in Pless stattfinden, wohin Chef Se.Majestät am 25. 1. begleitet. Schlusssatz: U - Boot Krieg und eine Aktion zu Land sind die einzigen Mittel, die wir haben, den Krieg für uns günstig zu wenden, ehe unsere Kräfte aufgebraucht sind und ehe die Entente mit niederdrückender Überlegenheit gemeinsam über uns herfällt.“ (Die ganze Skizze ist also äußerst pessimistisch gehalten!)

An unserer Front heute trotz ungünstiger Witterung auf der Karsthochfläche erhöhte Gefechtstätigkeit, namentlich beim VII.Korps. Östlich Görz eine kleine Vorverlegung unserer Stellung; am Lagazuoi unsererseits die auch im Pressebericht erwähnte Sprengung eines Felsbandes.

Ein Kalkül über den Transport von Entente Kräften vom Balkan Kriegsschauplatz nach Oberitalien ergibt, dass 3 Wochen nach Beginn der Bewegung in Mazedonien und Albanien 2 Divisionen und in der Folge nach weiteren je 2 Wochen weitere 2 Divisionen eintreffen könnten.

Die diplomatischen Depeschen (Sonnino - Carlotti) der letzten Tage lassen erkennen, dass die innerpolitische Lage Russlands sehr ernst ist. Grey soll sich dem italienischen Botschafter in London gegenüber geäußert haben, dass die gegenwärtige Lage in Russland jener in Frankreich vor der Revolution sehr ähnlich sei.

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