Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
04.09.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
4.9.1916

In der gestrigen Audienz wurde dem Chef, wie ich höre, die „Gemeinsame Kriegsleitung“ aufgezwungen. Heute gegen 5 Uhr fährt Chef mit Metzger nach Pless wegen Regelung der Befehlsverhältnisse. Auch sonst macht sich die neue deutsche Heeresleitung bereits kategorisch fühlbar. Ludendorff richtete „im Auftrage“ eine sehr scharfe Note hieher, worin er die größte Anspannung sowohl in der Ausnützung des Menschenmateriales (zur Erhöhung der Stände und Aufstellung neuer Verbände) als auch in der Industrie (speziell Munition, Geschütze: schwere Steil= und mittlere Flachschuss, Bombenwerfer, Material zum Stellungsbau) fordert. Er verschweigt nicht, dass er gehört habe, dass bei uns die Industrie noch lange nicht voll ausgenützt wird, fordert, dass alle tauglichen Männer aus dem Hinterland und von der Etappe ins Feld gestellt werden und dass eine radikale Ausnützung von Mindertauglichen, Frauen u.s.w. zur Arbeit erfolgt.

Die Unklarheit über die Absichten der Italiener dauert fort. - Heute meldete das Heeresgruppenkommando: „Die Situation der Italiener ist gegenwärtig folgende: Abgesehen von den Kräften auf anderen Kriegsschauplätzen und von den 3 Brigaden, deren Aufenthalt unbekannt ist, steht die Hälfte der italienischen Hauptkraft (324 Baone) an der Tiroler Front, die Hälfte (337 Baone) an der kärntnerisch-küstenländischen Front. Wie bereits gemeldet, sind daher die Italiener jederzeit in der Lage, an beiden Fronten anzugreifen. Zur notdürftigsten Stützung der Front wären notwendig: 1) Infanterie: 1 Regiment, am besten 87 (jetzt bei 28. Div. an küstenländischer Front) für das III.Korps, 3 Bataillone für das Korps Roth. Es stünden dann an Reserve: 87 bei III, 21 bei XX., 13.GBrig. für Suganer und Etschtalabschnitt, Lsch.III für Rayon 4, 3 Bataillone für Rayon V zur Verfügung. Da beim Korps Roth mehrere minderwertige und daher unverlässliche Bataillone dringend der Ablösung bedürfen, wäre noch die Zuweisung von 2 - 3 Bataillonen erwünscht. Alle müssten hochgebirgsvertraut sein. 2) Artillerie. Starke Schwächung dem AOK bekannt. 10.Division ohne ihre Artillerie. Stärkerer Munitionsvorrat notwendig, da Transport in Höhenstellungen Zeit erfordert. Da ein Durchbruch der Italiener an der Tiroler Front nach dem Verlust von Görz weitaus bedenklicher wäre, als ein weiteres Vordringen am Karst, so ist die Sicherung der Tiroler Front von besonderer Wichtigkeit, besonders da jede Verstärkung der im Hochgebirge kämpfenden Truppen erst nach längerer Zeit, indessen eine Verstärkung der Isonzofront von hier aus ungleich rascher wirksam werden kann.“

Eine sehr merkwürdige Auffassung. Einen größeren Lokalpatriotismus gibt es schon nicht mehr. Ich entwerfe die Antwort: Nach allgemeiner Lage und bisherigen Nachrichten bleibt Notwendigkeit starker Abwehr im Küstenland im Vordergrund, wenn auch vorherige oder gleichzeitige Angriffe des Feindes gegen einzelne Abschnitte der Tiroler Front, vor allem des Korps Roth, gewärtigt werden müssen. AOK gedenkt daher vor weiteren Entschlüssen Ergebnis der Aufklärung und des Kundschafterdienstes abzuwarten. Die beabsichtigte Ablösung der minderwertigen, dem AOK zu meldenden Bataillone des Korps Roth ist ehestens durch Truppen aus dem Bereich des Heeresgruppe durchzuführen. 13.GBrig. verbleibt zur Verfügung des AOK an der Bahn, würde jedoch nötigenfalls dem HGK zur Verfügung gestellt werden. Da Heeresgruppe vor allem eine Stützung der 11. Armee im Auge hat, ist zu melden, ob irgendwelche Anzeichen für Angriffsabsichten des Feindes gegen diese Armee bestehen. (Folgen noch einige Sätze wegen Artillerie und Munition). - Gesamtverluste in zweiter Hälfte des Monates Juli: 2300 Offiziere, fast 100.000 Mann.

Nach unseren Vormittagsmeldungen: Bei 5. und 10. Armee keine besonderen Ereignisse. Im Etschtal etwas lebhaftere Artillerietätigkeit. In den Dolomiten ein Angriff an der Rufreddostellung abgewiesen. - Dem 5.AK. wurde aufgetragen, von den Kommandanten aller Abschnitte Situationsbeurteilung (über Lage und Tätigkeit des Feindes) abzuverlangen, und diese bis morgen mittags begutachtet telegraphisch zu melden. Damit soll Klarheit in die Situation gebracht werden; ich habe nämlich den Eindruck, dass das AK. schon seit einigen Tagen nicht ganz aufrichtig meldet. Es kann aber auch sein, dass die Abschnittskommandanten die Vorgänge beim Feind nicht zutreffend beurteilen. Jedenfalls ist es sehr auffallend, dass nun im Westen sehr große Kämpfe (an der Somme) stattfinden. Ebenso ist es auch auffallend, dass Cadorna im Communiqué vom 3.September sagt: „Auf dem Karst Plateau wurde eifrig gearbeitet und beiderseits mit Bomben geworfen.“

Abendmeldungen: Bei 11. Armee standen unsere Stellungen im Brandtal, am Pasubio, auf der Tonezzaplatte und auf dem M.Tormeno unter - teilweise schwerem - Artilleriefeuer. Im Rufreddoraum wurde ein neuerlicher Angriff eines feindlichen Bataillons aus dem Einbruchsraum abgewiesen, dagegen gelang es feindlichen Abteilungen, sich des Foramegipfels zu bemächtigen und ihn gegen einen Gegenangriff zu behaupten.

Im Westen heute besonders schwere Kämpfe, deren Gewalt selbst im nichtssagenden Bericht Klepschs nachzittert. Namentlich ein Artilleriefeuer von noch nie dagewesener Heftigkeit.

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