Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
03.09.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
3.9.1916

Inspektionsnacht war wie jetzt gewöhnlich recht unruhig. Früh gebe ich Neuigkeiten an Kundmann ab.

Aus den diplomatischen Depeschen geht hervor, dass jetzt in Paris Besprechungen unter den Ententemächten über Kleinasien und die Meerengen stattfinden dürften; mit den Balkanfragen will Italien noch zurückhalten.

Nach Vormittagsmeldungen: Bei 5. Armee glaubt das Kommando des Abschnittes IIIb3, dass „es sich vor seiner Front um ein Abziehen von Kräften handeln dürfte.“ Der Feind betreibt intensiv die technische Verstärkung seiner Stellung, weil teilweise weiter von unserer Stellung entfernt gelegen ist. Am südlichsten Teil seiner Front soll der Feind nur Kavallerie in Stellung haben. - Gestern Bahnhof Monfalcone leer; auch kein Straßenverkehr dort. - Bei der Heeresgruppe 2 Angriffe auf Cauriolscharte, einer auf Coltorondo; an Dolomitenfront starkes Feuer gegen Siefraum, besonders gegen einen in der Richtung des Gratstützpunktes vorgetriebenen Stollen, den ein italienischer Freiwilliger verraten hat. Im Rufreddoraum scheint sich der eingebrochene Feind zu verstärken und auszubreiten. - Im Dreizinnengebiet wird ein Angriff erwartet.

Also: Von der küstenländischen Front die erste Meldung über ein Abziehen von Truppen; an der Tiroler Front erhöhte Tätigkeit.

Diplomatische Depeschen: Entente zerbricht sich ernstlich den Kopf, was nach der Abdankung des Königs Ferdinand von Bulgarien zu geschehen hätte. In Russland denkt man daran, ihm seinen Sohn, den Kronprinzen Boris folgen zu lassen. Die Großmächte würden diesem das Mesta Tal mit Kawalla und die Linie Enos - Midial (nach Bestätigung der Türkei) überlassen. Italien will die Tätigkeit der Serben bis aufs Äußerste in den innerbalkanischen Fragen binden und ihnen sogar zur Wiedergewinnung Mazedoniens verhelfen.

Soviel ich höre, stockt der rumänische Vormarsch.

Nachmittags Telefongespräch mit Fmlt. Le Beau; Boroević hält sich über unsere Anfragen bezüglich Situation auf; er will Befehle. Die kann er haben. Übrigens ist der Verkehr im kurzen Wege sogar in unseren Vorschriften vorgesehen. Dem Krieg blieb es vorbehalten, dass auch diese für einige alte Herren zu wenig kompliziert sind.

Abendresümee: Bei der 5. Armee normale Artillerietätigkeit, kein wesentliches Ereignis. Im Plöckenabschnitt lebhafte Artillerietätigkeit, die sich beiderseits hauptsächlich gegen die Ortschaften hinter der Front richtete – Ein Teil von Kötschach ist gänzlich zerstört.

Im Ortler Gebiet besetzten italienische Abteilungen die Thurwieser Spitze und einzelne Stellen der Trafoier Eiswand. Ein Angriff auf das Eiskögele scheiterte. - An der Fleimstalfront drang ein eigener Versuch, den Cauriol mit einer aus Freiwilligen gebildeten Landesschützenkompanie durch Handstreich zu nehmen, nicht durch; dort nunmehr vor der Front starke feindliche Kräfte, offenbar die alarmierte Reserve. - An der Dolomitenfront hat das Feuer gegen den Siefraum nachgelassen.

Ein in der vergangenen Nacht in unsere linke Flügelstellung am Foramehang eingedrungener Zug wurde durch Gegenangriff wieder hinausgeworfen. Der Raum zwischen M.Costello und Hexenfels und das Lager bei Gottres wurden von - insgesamt 3 - neuen mittleren Kaliber Geschützen beschossen. Sonst an der Tiroler Front mäßiges Artilleriefeuer.

Feind: „Die Kommandos der Abschnitte IIb und III b der Isonzo Front halten nach verschiedenen Anzeichen ein Abziehen dortiger italienischer Kräfte für möglich. Gefangene behaupten das Herausziehen zweier Brigaden aus der Front am Plateau von Comen. Anzeichen über eine Verstärkung der feindlichen Kräfte gegen Tirol liegen bisher nicht vor; auch Flugaufklärung ergab nirgends auffällige Bewegungen. Die Kundschafternachrichten über die Absichten des Feindes lauten widersprechend. Nach allem wären Kombinationen über eine Änderung der bisher vermuteten Absicht der Italiener, die Offensive im Görzischen fortzusetzen, heute noch verfrüht.“ Mit diesen Worten charakterisiere ich die Beurteilung der feindlichen Situation. Spreche auch eingehend mit Seiller; in Bozen hält man es für möglich, dass ein gleichzeitiger Angriff an beiden Fronten erfolgt.

Es kann ja sein, dass die Italiener in Tirol gleichzeitig mit der Isonzooffensive etwas kleinere, zum Beispiel einen Angriff auf die Fleimstalfront, gegen den Siefraum oder gegen das Pustertal, vielleicht auch mehrere dieser Unternehmungen kombiniert unternehmen. Zu einem größeren Angriff fehlte vorläufig die Zeit der Vorbereitung, denn noch bis in die letzten Tage wurde eine fortwährende Verstärkung der Artillerie im Görzischen gemeldet. Überdies sprechen verschiedene Momente gegen ein Aufgeben des Isonzoangriffes. Vor allem der Druck der Entente, die jetzt an allen Fronten gegen die Hauptziele losgeht; dann der alte Wunsch des Feindes, sich in den Besitz von Triest zu setzen; schließlich auch die Schwierigkeiten des Gebirges an der Tiroler Front, wo ein durchschlagender Erfolg sehr unwahrscheinlich ist. - Immerhin ist im Kriege schon öfters das Unwahrscheinliche geschehen und man wird nun sehr aufpassen müssen. Als nächste Maßnahme, wenn sich gegen Tirol etwas vorbereiten sollte, käme die Überlassung der 13. GBrig. an das HGK und die Bereitstellung von Kräften der 5. Armee zu raschem Abtransport in Frage.

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