Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
22.09.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
22.9.1916

Vergaß heute ganz, dass mein letztes Notizbuch ausgeschrieben ist, ließ erst abends dieses neue kaufen und komme daher erst sehr spät zu einigen Aufzeichnungen. Nicht ohne den Gedanken, der bei Beginn eines jeden der späteren Büchlein wiederkehrt: Wird es das letzte sein? Nun, das ist wohl wieder recht unwahrscheinlich. Es geschehen zwar einige Zeichen, wie die sozialistischen Äußerungen in der französischen Kammer, das Zurückhalten der Deutschen mit der Proklamierung des Königreiches Polen - und heute: Aussagen gefangener Russen, dass 2 Divisionen nicht mehr angreifen wollten! Das Wunder will aber nicht kommen.

Auf unserem Kriegsschauplatz steht der heutige Tag unter dem Zeichen völliger Unklarheit über Absichten des Feindes. Das Wetter ist schön geworden, an der Front blieb es aber still. Zwischen Meer und Salcano steht von den dortigen 37 - 42 Brigaden die eine Hälfte, die in den letzten Kämpfen weniger oder gar nicht gelitten hat, geordnet und angriffsbereit in erster Linie; die andere schwer hergenommene Hälfte ist zur Retablierung und Auffüllung zurückgezogen. Südlich Cormons wurden große Zeltlager beobachtet. Auf den Bahnen gegen Cormons und Cervignano herrscht reger Verkehr, angeblich zur Isonzofront. Auch auf der Strecke Schio - Thiene wurden Züge in kurzen Intervallen, nach beiden Richtungen beobachtet. Der lebhafte Autoverkehr auf der Straße über Bieno (nördlich der Sugana) hält an; dagegen liegen keine neuen Wahrnehmungen über Beobachtungen vor unserem III. Korps vor. Nach sicherer Nachricht wurde die Aktion gegen unsere Fleimstalfront nur durch das Wetter unterbrochen. Im Daonegebiet werden Ablösungen vermutet; solche dürften jetzt vor dem Winter in mehreren Abschnitten im Gange sein. Die heutige Flugaufklärung vor der Front der 11. Armee konnte keine auffälligen Bewegungen feststellen. Der Zugsverkehr auf der Hauptstrecke Verona - Vicenza und auf den nördlichen Anschlussbahnen ist gering. In 2 an der Isonzofront abgehorchten Gesprächen ist von einer bevorstehenden Kampfpause, in einem derselben auch von einer Aufhebung der Urlaubssperre ab 25. die Rede. - Laut Nachtmeldung der 5. Armee allgemeiner reger Verkehr hinter der feindlichen Front, rege Fliegertätigkeit. - Die abends eingetroffene, (von uns abgeforderte) Situationsmeldung aller Korps der 5. Armee und des Armee Kommandos erweckt nicht den Eindruck, dass eine Erneuerung des Angriffes bald bevorstehe; sie enthält aber auch, wie alle übrigen Meldungen, keine konkreten Angaben über ein Herausziehen von Kräften von der Isonzofront. Immerhin denke ich schon an die Möglichkeit einer Kampfpause und an weitere Abgaben zum entscheidenden Schlag gegen Rumänien. - In der Dobrudscha scheint alles in Ordnung zu sein; am rechten Flügel erzielten sogar türkische Truppen einen schönen örtlichen Erfolg über die unvorsichtig vorstoßenden Rumänen.

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