Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
21.11.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
21.11.1916

Auch hier schlechte Nachrichten über Befinden des Kaisers. Sollte das traurige Ereignis eintreten, so würde es sicher unangenehme moralische Einwirkungen auslösen. Auch die Frage des neuen Eides ist bei unserer nationalen Zusammensetzung nicht ohne Bedeutung und im Feld gewiss nicht leicht zu lösen.

In der Überzeugung, dass für unsere Front artilleristisch noch nicht genug geschehen ist, habe ich schon am 18. einen Kalkül über die Stärke der italienischen Artillerie zusammengestellt, der Pflug natürlich recht unangenehm war. Kann ihm aber nicht helfen. Die Wirkungen solcher Studien bleiben nie aus. Es wird nun doch, auch für die Zukunft, geschehen, was irgend geschehen kann.

Besondere Ereignisse während meiner Abwesenheit keine. Das-Wetter hat mit uns gehalten. Wie es besser wird, kommt der neue italienische Angriff. Die Parlamentseröffnung soll am 5. Dezember stattfinden, und bis dahin braucht Cadorna einen greifbaren Erfolg. - Heute mittags und abends kommen sehr: wichtige „verläßliche“ (das heißt Radio-) Nachrichten, die erkennen lassen, dass die Italiener ihre Angriffsabsichten südlich der Brenta wegen der Witterung vorläufig (und wahrscheinlich bis auf weiteres überhaupt) aufgegeben haben und von dort Artillerie gegen die Isonzofront dirigieren. Es muss daher auch unsererseits das Äußerste geschehen. Ich schlage vor: 1) Verschiebung von 5 schweren Batterien aus Tirol, einer schweren Batterie aus Kärnten; 2) Bereitstellung einer Brigade in Tirol; 3) Bitte an OKL, dass die 81.I.Brig. der 20.ITD. bis auf weiteres noch nicht abtransportiert wird. (Diese Brigade ist die 2. Ersatzbrigade für die 48. ITD., die morgen eingetroffen sein wird).

Untertags zunehmend schlechte Nachrichten über Befinden des Kaisers; abends wird mitgeteilt, dass das Fieber bereits über 39.6 gestiegen sei und dass Kampferinjektionen gegeben werden mussten. Die Katastrophe scheint unvermeidlich. Sie dürfte leider nicht ohne Rückwirkungen auf die Stimmung der Truppen, namentlich auf unserem Kriegsschauplatz, wo mit Eintritt besseren Wetters bestimmt äußerste Anstrengungen der Italiener gegen Triest folgen werden, bleiben. - Metzger nimmt alle Vorschläge an.

¾ 10 Uhr kommt telefonisch die Nachricht, dass der Kaiser um 9h05 verschieden ist. Die Größe dieses Ereignisses lässt sich heute nicht fassen. Im Allgemeinen werden seine Rückwirkungen auf die ganze Welt eigentlich geringer sein, als wie im Frieden. Jedenfalls bedeutet der Tod des doch allgemein geliebten und wegen seines Alters schon verehrten Monarchen eine moralische Einbuße bei unseren Truppen. Der Feind wird nicht ermangeln, dieses Moment auszunützen, und den Tod als eine Strafe Gottes für den angeblichen Anstifter des Weltkrieges hinzustellen. - Eine Rückwirkung auf das AOK ist vorläufig unabsehbar. Ich glaube nicht, dass Kaiser Karl das Oberkommando übernehmen wird. Vorerst werden seine Hauptaufgaben in Wien zu lösen sein; auch wäre die Übernahme des Oberkommandos wegen des Verhältnisses zur OKL nicht zweckmäßig. Conrad dürfte bleiben, da Kaiser Karl ihm in letzter Zeit sehr gut gesinnt sein soll, weil er in allen wichtigen Fragen mit seinen Anschauungen Recht behalten hat. Bei uns war wie gewöhnlich in solchen Fällen nichts vorbereitet; nachmittags habe ich Schneider durch Pichler über die notwendige Vorsorge wegen des Eides, Glaise wegen der Kundgebungen aufmerksam gemacht. Geschehen ist aber anscheinend in letzter Beziehung nichts; daher großer Gasdampf.

Diplomatische Depeschen: In Rumänien waren die rumänischen Militärs und der französische General Berthelot schon am 14. über die Lage auf das Äußerste besorgt. In der kleinasiatischen Frage scheint England Italien vollständig aufsitzen zu lassen. Grey sagte dem italienischen Botschafter in London, es rufe allgemein den Eindruck hervor, dass die italienischen Wünsche zu weitgehend seien. - Abendresümee: Andauernd ungewöhnlich starke Niederschläge und Stürme verhindern an der ganzen Südwest Front jede Gefechtstätigkeit. Das Unwetter verursacht große Materialschäden, in Tirol auch die Unterbrechung mehrerer Kommunikationen (Fricca, Kempel, Cadinstraße) und Drahtverbindungen, dann erhebliche Menschenverluste (bisher festgestellt 142 Verletzte und Vermißsse, 60 Tote, darunter einige durch Blitzschläge). - Nach Radios ist es nun vollkommen klar, dass die Italiener zu einem festgesetzten, nahen Zeitpunkt den auf Triest abzielenden Angriff erneuern werden und dass sie hiezu alle verfügbaren schweren Geschütze von der Tiroler Front heranziehen, wo die Angriffsabsichten wegen Ungunst der Witterung vorläufig aufgegeben wurden. - Auf Grund dieser Nachrichten wird befohlen: an HGK: Bei der laut jüngsten Feindnachrichten eingetretenen vollen Klärung der Absichten der Italiener muss in der Stärkung unserer 5. Armee für die zu erwartenden entscheidenden Kämpfe bis zum Äußersten gegangen werden. Hiezu hat HGK. durch baldige Absendung einer möglichst großen Zahl schwerer Batterien der Festungsartillerie mit kompletter Munition beizutragen; darunter an modernen Batterien mindestens 1-10,4, 2-15 Hb., 2-30.5 Mörserbatterien. Nummern und Abgangsdaten melden. Weiters ist für alle Fälle eine eventuell zu kombinierende Brigade bereitzustellen. Überdies erhält 10.AK. den Auftrag, 1-15cm Hb.Bt. an die 5. Armee abzugeben.

Dadurch wird die 5. Armee im Ganzen um weitere 6 moderne schwere Batterien gestärkt; überdies werden, wenn alles klappt, das heißt, wenn Hindenburg keine Schwierigkeiten wegen der 81. I.Brig. macht, außer der 48.ITD noch 2 Brigaden für alle Fälle bereit sein.

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