Auf den Spuren der Wahrheit

Tagebucheintrag vom
09.05.1916
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Kaiser
Tagebucheintrag von
Karl Schneller
Erklärung
9.5.1916

Conrad hat sich nun entschlossen, die Deutschen vollkommen zu orientieren. General Cramon wurde direkt ersucht, Falkenhayn in großen Zügen zu orientieren; hiezu bekam er auch volle Einsicht in unsere Karten mit der Situation. - Vormittags gibt mir Metzger eine für das Tagebuch Kundmanns bestimmte, vom Chef geschriebene „Genesis der Lage gegenüber Italien“ und eine Schrift „Zur Lage anfangs Mai 1916“. Die erste sagt: „Bei Eintritt Italiens in den Krieg erschien es mir am erwünschtesten, den aller Voraussicht nach über den Isonzo gegen Laibach vordringenden italienischen Hauptkräften einen Schlag im Rencontre beizubringen, weil ich nur von einem solchen eine derartige Wirkung erwartete, dass der in Italien nicht durchaus populäre Krieg in sich zusammengebrochen oder Italien doch für geraume Zeit lahm gelegt worden wäre. Dazu bedurfte es aber der Versammlung von mindestens 20 Divisionen, was das Hinzutreten von wenigstens 10 deutschen Divisionen erfordert hätte. Diese wurden deutscherseits nicht verfügbar gemacht und so erübrigte nur die rein defensive Kriegführung mit den verfügbaren schwachen Kräften. Nichtsdestoweniger wurde schon damals die Offensive gegen Italien im Auge behalten und die hiefür erforderlichen Vorarbeiten soweit als möglich getroffen. Als die gegen Italien verwendeten Kräfte aber immer mehr anwuchsen und besonders als der Feldzug gegen Serbien und Montenegro geglückt war und dort eingesetzte Kräfte frei wurden, wurde wieder an die Idee der Offensive gegen Italien angegangen und hatte ich mich wiederholt an General von Falkenhayn gewendet, damit er die hiefür nötigen deutschen Kräfte zur Verfügung stelle. Diese Vorschläge erfuhren einen abschlägigen Bescheid und so wurde nun daran gegangen, aus eigenen Kräften jene Macht zu versammeln, welche ich als Minimum für den Offensivstoß gegen Italien erachtete. Die Versammlung war am 10. April beendet, sodass am 11.April die Offensive hätte beginnen können. Der indessen hereingebrochene ganz abnorme Nachwinter hatte jedoch Schneeverhältnisse geschaffen, welche die Durchführung des Angriffes als untunlich erscheinen ließen und dessen Aufschub von Tag zu Tag bedingten. Dem Gegner ist all dies nicht verborgen geblieben und er hat sowohl hinsichtlich Verstärkung seiner Befestigungen als hinsichtlich Versammlung seiner infanteristischen und artilleristischen Kräfte Gegenmaßnahmen getroffen. Der Angriff hatte das am 11. April noch völlig vorhandene Überraschungsmoment verloren und damit auch die Mitte April noch bestandene Chance, auf schwächere feindliche Kräfte zu stoßen. Derart ist die Lage entstanden, wie sie dermalen (anfangs Mai) vorliegt und es trat die Frage heran, ob unter diesen Umständen der Angriff durchzuführen ist oder nicht.“ Diese Frage ist in der Schrift „Zur Lage anfangs Mai 1916“ behandelt. - Darin wird im Wesentlichen ausgeführt: An unserer russischen Front stehen zwischen Pripiatj und rumänischer Grenze unsererseits 570.000 Gewehre (davon 13.000 deutsche) auf 450 km gegen 590 – 640.000 russische. Daher russischer Angriff aussichtslos. Konzentrieren von 30 russischen Divisionen auf 90 km Angriffsfront würde 4 Wochen dauern. Anzeichen dafür fehlen. Im Gegenteil Russen versammeln stärkere Kräfte nördlich des Polesie (Dünaburg, Smorgon) gegen Wilna. - Jetzt schien, besonders aber nach Einreihen unserer Maiersätze Herausziehen weiterer Kräfte aus unserer russischen Front möglich, um sie zur Abwehr eines örtlichen russischen Angriffes oder zum Abtransport für eine andere Front bereit zu haben; hiebei ist in erster Linie an die italienische gedacht.“ (Dies ist eine sehr erfreuliche Erkenntnis; der Chef lässt sich doch von unseren „Unken“ nicht beeinflussen.) Nach einem Kräftevergleich kommt Chef auf die möglichen Entschlüsse der italienischen Heeresleitung. Meiner Ansicht nach unterschätzt er dabei die für einen Angriff notwendigen Vorbereitungen; denn er hält für möglich 1) eine allgemeine Offensive mit Ausnahme der Kärntner Front, 2) bei Abwehr unseres Angriffes ein Vorgehen an der übrigen Tiroler Front gegen die Bahn Franzensfeste - Bozen (dafür fehlen die Grundbedingungen: Entwicklungsmöglichkeit für Artillerie und stärkerer Kräfte!) und Hauptstoß am Isonzo, 3) allgemeiner Angriff auf Tirol, in der Absicht, erst nach dem erreichten Erfolg die Offensive am Isonzo zu führen, 4) Hauptstoß am Isonzo bei Abwehr an der übrigen Front. Hierauf folgt eine ziemlich weitläufige Begründung der Führung unseres Stoßes aus Tirol. Auch hier blickt wieder die Sorge um die beiden Flügel (Südwest und West, dann Osttirol) durch; es wird aber richtig erkannt, Dass auch dann, wenn der Stoß der 3. und 11. Armee nicht ein rasches Ergebnis erzielt, die Isonzofront entlastet und die gefährlichste feindliche Offensive (gegen Laibacher Becken und Triest) gehemmt ist. Schließlich kommt Chef zum Resümee, Dass die Offensive trotz der durch die Verzögerung erhöhten feindlichen Maßnahmen geführt werden soll. Die übrige Front hat sich zu halten, insbesondere aber ist ein Vorrücken der Osttiroler Gruppe der Italiener gegen die Bahn Franzensfeste - Trient zu verwehren, die erforderlichen Kräfte seien daher dorthin zu detachieren. (Halte ich für nicht nötig; wo keine Artilleriemassen sind, kommt auch der Feind nicht weiter!). Da speziell die 5. Armee einem mehr als doppelt überlegenen Feind gegenüber steht, muss mit ihrer eventuellen Verstärkung seitens der 10. Armee (wohl ganz unmöglich!) sowie von unserer russischen Front (sehr zu begrüßen!) gerechnet werden. Dann folgt noch eine selbstverständliche Erwägung über den Zeitpunkt des Angriffes (bald, aber Gangbarkeitsverhältnisse berücksichtigen) und über das Abziehen von Kräften zur Teilnahme an einer Aktion in Frankreich; dies könnte aber nur auf Kosten der Sicherheit aller unserer Fronten erreicht werden, da die 3. und 11. Armee nur auf diese Art zusammen gebracht wurden. Kommt es zu einem großen Erfolg gegen I., so wird über die Verwertung der frei werdenden Kräfte je nach Lage zu entscheiden sein. - In der Mittagsmeldung des Heeresgruppenkommandos auffallenderweise die Meldung, Dass im Angriffsabschnitt keine (unterstrichen!) Schneefälle. Heute überdies Ausheiterung.

Also dürfte man endlich doch zum Entschluss kommen! (Trient 19° um 9 Uhr vormittags). Unsererseits keine besonderen Ereignisse. Die Aussage eines Überläufers spricht von einer bevorstehenden Offensive gegen Schluderbach - **pass. Dafür fehlen alle Vorbedingungen. Im Abschnitt Etschtal ist eine neue Division formiert worden. - Aus der Abendmeldung des Heeresgruppenkommandos entnehme ich, Dass die 2.GBrig. in Cavalese eingetroffen ist. Da muss die 48 ITD Platz gemacht haben! Spreche darüber mit Salis, der mir sagt, Dass die Truppenbewegungen tatsächlich bereits begonnen haben. Vorerst schieben sich die Divisionen gegen Trient zusammen; morgen kommt darüber ausführliche telegraphische Meldung. Salis sagt mir auch, Dass Pichler rekognoszieren gefahren ist; wenn er etwas Neues bringt, werde ich es noch heute erfahren. Also es geht nun doch endlich los.

Das Wetter ist schön, wenn auch anscheinend noch nicht stabilisiert. - Bei uns wird fleißig weiter geunkt. So versteigt sich Schneider heute zu der Behauptung, er sei überzeugt, dass die Heeresgruppe nach 4 wöchentlicher Offensive und Einsatz aller Ersätze kaum die Hälfte des jetzigen Standes haben wird. Kurz: jeder sagt das Schwärzeste voraus, wie er es sich im Grunde seiner Seele wünscht… Das ist eine der großen Wahrheiten des Krieges…

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